© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Bereinigung
Karl Heinzen

In seinem Bemühen um eine Neupositionierung der SPD hat ihr Vorsitzender Matthias Platzeck der Sozialnostalgie eine deutliche Absage erteilt. Unter dieser versteht er offenbar Bestrebungen, darüber nachzudenken, wie der Staat vielleicht auch in Zukunft seiner verfassungsgemäßen Aufgabe nachkommen könnte, den Bürgern eine halbwegs zulängliche Existenzgrundlage zu gewährleisten. Mit seinem Verdikt geht Platzeck nicht zuletzt auf merkliche Distanz zu seinem Vorvorgänger im Parteiamt. Gerhard Schröder hatte seine Kanzlerschaft 1998 immerhin noch unter der so ambitionierten wie illusorischen Zielsetzung angetreten, den Sozialstaat zu erneuern. In den folgenden sieben Jahren gelang ihm allerdings der überzeugende Beweis, daß die Politik über einen derart weit gefaßten Gestaltungsspielraum nicht mehr verfügt. Lediglich die Linkspartei ist aus wahlstrategischen Gründen derzeit noch nicht bereit, die Maxime staatlich erzwungener Gerechtigkeit aus ihrem Programm zu tilgen. Wo sie in den Ländern Regierungsverantwortung trägt, erweist sie sich jedoch als pragmatisch genug, ihre Mithilfe an der Demontage sozialer Sicherheit nicht zu verweigern.

Einen Rest an Radikalität gestattet sich Platzeck durch die Anmerkung, daß sich die SPD weiterhin nicht als eine neoliberale Partei versteht. Hier ist allerdings in Rechnung zu stellen, daß die Sozialdemokraten seit den Zeiten August Bebels auch dann moderat agieren und regieren, wenn sie in ihren Grundsatzerklärungen extreme Positionen verkünden. Die Wirtschaft muß die Distanzierung Platzecks vom common sense der Republik daher nicht als Affront auffassen. Sie verlangt jedoch auch nicht nach einer vollmundigen ideologischen Anbiederung der Politik, sondern ist vollauf damit zufrieden, wenn sich diese in der Praxis in den Dienst ihrer Interessen stellt.

Nach der schon vor fast einem halben Jahrhundert vollzogenen Abkehr vom Marxismus und der nunmehrigen Verabschiedung des Sozialstaates ist es verständlich, daß Platzeck nach "neuen Inhalten" für die SPD sucht. Er schlägt vor, diese insbesondere auf dem Feld der Bildungspolitik zu suchen. Dahinter steht nicht allein die Absicht, den Unternehmen langfristig ein gut qualifiziertes Arbeitskräftepotential zu sichern, mit dem sie auch in Zukunft satte Gewinne einfahren können. Zugleich ist ein psychologisches Kalkül erkennbar: Junge Menschen sind die einzigen, die aufgrund mangelnder Lebenserfahrung vielleicht noch an den Zusammenhang von Engagement und Erfolg glauben mögen.


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