© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Warten auf den Riß im Deich
Große Koalition: Der Streit um die Familienpolitik kann sich für die Regierung als Spaltpilz erweisen / Union gibt bisherige Positionen auf
Paul Rosen

Kinder sind ein kostbares Gut. Das hat sogar die Bundesregierung erkannt. Um Familien das Leben zu erleichtern und in der Folge vielleicht wieder höhere Geburtenzahlen zu bekommen, haben SPD und Union eine ganze Reihe Maßnahmen ersonnen. Aber aus diesen Vitaminen scheinen Gifte zu werden. Schon sind erste Sporen des Spaltpilzes in dem noch keine 100 Tage alten Regierungsbündnis zu sehen. Union und SPD streiten sich um den richtigen Weg, aber auch innerhalb von CDU und CSU gehen die Meinungen auseinander.

Im Kern geht es um die Frage, welches Familienbild gefördert werden soll. Den Sozialdemokraten ist die traditionelle Familie, die selbst entscheidet, wer für das finanzielle Einkommen und wer für Haushalt und Kinder sorgt, schon lange ein Dorn im Auge. Das DDR-Modell, bei dem alle berufstätig waren und die Kinder morgens in Kindertagesstätten abgeliefert wurden, in denen Honeckers Geburtstag bestimmt nicht vergessen wurde, fanden sie schon immer faszinierend. Aus dieser Sicht wird Freiheit für den Einzelnen durch Arbeit am Fließband verwirklicht.

Nun ist auch die CDU vor solchen Gedanken nicht geschützt. Die Wahlfreiheit der Familie hat ausgedient. Die berufstätige Mutter, die am Tag Geld verdient und morgens und abends dann doch noch den größeren Teil der Hausarbeiten zu erledigen hat, ist das neue Leitbild. Es wird übrigens verkörpert durch Ursula von der Leyen (CDU), die neue Familienministerin. Die frühere niedersächsische Landesministerin und Professorin hat sieben Kinder und nie ihren Job aufgegeben. Kinderbetreuung durch Dritte dürfte allerdings bei den Einkommensverhältnissen der Politikerin kein Problem gewesen sein.

Von der Leyen setzte mit augenzwinkernder Zustimmung der Kanzlerin, die von Kindererziehung nichts und von Familie nur wenig weiß, sowie unter offenen Beifall der SPD durch, daß Familien nur dann Kinderbetreuungskosten von der Steuer absetzten können, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Familien, die sich anders entschieden haben oder in denen ein Elternteil arbeitslos ist, gehen leer aus. CDU-Vize Christoph Böhr empfindet dies als taktlos: "Der Staat hat nicht das geringste Recht, der Familie vorzuschreiben, wie sie zu leben hat." Dennoch beschloß das Kabinett auf der Klausurtagung in Genshagen diese Regelung und will sie unverändert in den Bundestag einbringen.

Die neue Familienförderung, die noch weitere kritikwürdige Punkte enthält, könnte sich für das Regierungsbündnis zu einer großen Gefährdung entwickeln. Die SPD ist zufrieden. Sie muß nur darauf achten, daß ihre eins zu eins umgesetzten Vorstellungen nicht zu stark verwässert werden. Doch für die Union wird die ganze Sache zum Problem. Ihre Bundestagsfraktion wirkt gespalten. Noch wagt aber kein Abgeordneter, klar und vor allem öffentlich gegen die Regierungspläne Stellung zu beziehen. Zu groß ist inzwischen das Ansehen von Kanzlerin Angela Merkel, die durch glückliche Umstände auf dem internationalen Parkett Erfolge erzielen konnte und in der Wirtschaft auf einen Mini-Aufschwung hoffen kann.

Aber im Bundesrat könnten die Fronten aufbrechen. Die Regierung Merkel, gefangen in ihrem Genshagener Gute-Laune-Paket zur Stimulierung der Wirtschaft, muß den Entwurf zur Familienförderung unverändert dem Bundesrat zuleiten. Auf dem Weg in die Länderkammer wiegelt Merkel noch ab. Aus ihrer Sicht spreche nichts dagegen, auch Einzelverdienerfamilien in den Genuß der Förderung kommen zu lassen. Doch ändern will sie nichts. Als erstes wird sich die Große Koalition wahrscheinlich eine geharnischte Ermahnung des von den Unionsländern majorisierten Bundesrates einfangen. Die Mehrheit der Länder wird umfangreiche Änderungen verlangen. Stimmt Merkel zu, handelt sie sich Ärger mit der SPD ein; lehnt sie ab, droht der Großen Koalition eine Anrufung des Vermittlungsausschusses und schlimmstenfalls eine Niederlagen in der Länderkammer. Das wäre das erste Mal, und diese Niederlage dürfte in der Wirkung so einzuschätzen sein wie der erste Riß in einem Deich.

Am Beispiel der Familienpolitik fällt auf, welche unterschiedlichen Vorstellungen sich unter dem Dach der Union entwickelt haben. Die große Klammer gemeinsamer christlicher Werte, manifestiert in einem Programm, ist längst weggefallen. Personelle Klammern, wie Helmut Kohl eine war, gibt es nicht mehr. Merkel ist eine Taktikerin und Machtpolitikerin, Charisma hat sie nicht. Eine starke CSU hätte die Extratouren der Familienministerin möglicherweise aufgehalten, aber die Bayern-Truppe ist nach dem irrlichternden Verhalten ihres Chefs Edmund Stoiber auf längere Zeit zu geschwächt, um in dieser Koalition mehr zu tun, als nur in den Regierungssesseln zu hocken.

Welche Gefahr mit dem Abwerfen bisheriger familienpolitischer Vorstellungen einhergeht, hat man in der CDU nicht erkannt. Die Union, die schon bei der Bundestagswahl weit unter 40 Prozent blieb, bekam von vielen Wählern die Quittung für ihren Abschied von sozialpolitischen Positionen. Jetzt räumt die CDU wieder ein Feld. Aber ein Vakuum gibt es in der Natur und in der Politik nicht. Die welkende Merkel-CDU macht - unfreiwillig - den Platz frei für neue politische Bewegungen.

Angela Merkel, Ursula von der Leyen: Betreuung durch Dritte foto: picture alliance / dpa


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