© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Evolution und Schöpfung
Thüringen: Ministerpräsident Althaus distanziert sich von Kreationisten / Kontroverse um Diskussionsveranstaltung in der Erfurter Staatskanzlei
Daniel Körtel

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hätte sich kaum ein brisanteres Thema aussuchen können. In der Veranstaltungsreihe "Erfurter Dialog", so gab die Erfurter Staatskanzlei im vergangenen September bekannt, sollte im Januar "Evolution und Schöpfung" im Mittelpunkt stehen. Dazu eingeladen waren der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera und als sein Gegenpart der Münchener Mikrobiologe Siegfried Scherer, der als Verfasser eines umstrittenen evolutionskritischen Lehrbuchs bekannt ist.

Doch unerwartet für Althaus brach sofort eine Protestwelle über ihn herein. Sowohl die Wahl des Themas wie die Einladung an Scherer riefen Kritik hervor, der Ministerpräsident wurde gar verdächtigt, religiösem Fundamentalismus den Boden bereiten zu wollen. Kutschera nahm die Einladung gar nicht erst an, weil er es kategorisch ablehnt, Evolutionsgegnern ein öffentliches Forum zu bieten. Althaus sah ein, daß das ursprüngliche Konzept nicht aufrechtzuerhalten war. Das Thema wurde beibehalten, aber die Zusammensetzung des Podiums geändert.

Somit saßen am vergangenen Montag im Barocksaal der Erfurter Staatskanzlei neben Althaus der Evolutionsbiologe Uwe Hoßfeld (Jena), der evangelische Theologe Klaus Tanner (Halle) sowie der katholische Theologe Michael Gabel (Erfurt), um über die Frage der Herkunft des Lebens zu diskutieren. In seiner Eröffnungsrede distanzierte sich Althaus vom Kreationismus, da das Bild unserer Abstammung durch die Biologie in den vergangenen Jahrzehnten an Kontur gewonnen habe. Dennoch schließe aus seiner Sicht Darwins Evolutionstheorie die Existenz Gottes nicht aus. In der Vehemenz, mit der die Debatte geführt würde, gehe viel Energie verloren. Er appellierte: "Den mutigen Schritt in das andere Lager könnte man öfter wagen!" Der Evolutionsbiologe Hoßfeld gab einen Überblick über die Geschichte der Evolutionstheorie, die er unter Verweis auf die Erkenntnisse der Paläontologie, der Zell- und Molekularbiologie als bewiesen bezeichnete. Er ging dabei auch auf die aktuelle Debatte um Kreationismus und "Intelligent Design" in den Vereinigten Staaten und Europa ein (JF 3/06). Beides nannte er "Pseudowissenschaften", die die Religion in Mißkredit brächten. Für ihn erfüllen die Religionen wichtige gesellschaftliche Funktionen, damit wir uns "nicht so allein" im Universum fühlen.

Ihm folgte der evangelische Theologe Tanner, der in einer leidenschaftlichen Entgegnung der Evolutionsbiologie vorwarf, über ihre Grenzen hinauszugehen und in weltanschauliche Bereiche überzugreifen: "Kritische Wissenschaft ist immer eine selbstbegrenzende Wissenschaft", denn kein Molekularbiologe könne die Sinnfrage lösen. Hier kritisierte er vor allem Kutschera, in dessen Lehrbuch für Evolution ein "flammendes Plädoyer" für den Atheismus enthalten sei. Doch in den Interpretationen der Evolutionsbiologen stecke mehr "kreative Leistung" als Tatsachen. Sein katholischer Kollege Gabel plädierte dafür, in der Frage "Gott oder Darwin" keinen Gegensatz zu sehen. Das sei - auch für die katholische Kirche - die einzig verantwortbare Haltung, sagt er und bezog sich dabei auf den Jesuiten und Paläontologen Teilhard de Chardin, der in der Evolution das Wirken sah, in dem Gott sich den Menschen mitteile.

In der anschließenden Diskussion beklagten einige Zuschauer, daß ein echter Dialog eigentlich gar nicht stattgefunden habe. Aber trotz dieses bedauerlichen Mangels wäre es nicht überraschend, wenn man im künftigen Verlauf der Debatte in Deutschland erkennen würde, daß ihr diese Veranstaltung allein durch die Themenwahl einen entscheidenden Impuls gegeben hat.


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