© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Ode an das Leben
Kino: "Exil" von T. Gatlif
Claus-M. Wolfschlag

Deutsche Filmemacher sollten Tony Gatlif studieren. Der Franzose arabischer Abstammung könnte ihnen zeigen, wie unverkrampft und mit welch geringem Aufwand, ohne ausgefeiltes Drehbuch, man herrliches Kino machen kann. In seinem Film "Exil" offenbart sich die ganze Fülle irdischer Sinnlichkeit. Alles ist schwitzende Haut, Sonne, Regen, Staub und Tanz.

Die Geschichte ist einfach erzählt: Eines Tages faßt Zano (Romain Duris), aus dem Zimmer eines Pariser Wohnhochhauses blickend, den seltsamen Entschluß, nach Algerien zu reisen. Seine Freundin Naima (Lubna Azabal) ist erst belustigt, schließt sich jedoch an. Nur mit Musik im Gepäck wandern und trampen sie durch Frankreich, Spanien, Marokko, rumpeln als Schwarzfahrer auf Zügen durchs weite Land. Auf ihrer Reise sieht man kräftige Salatköpfe prangen, Äpfel verführerisch leuchten. Man fühlt den Sand und riecht das Meer. Dazu immer wieder die Musik, welche die beiden wie der Klang des Lebens begleitet, von elektronischen Beats bis zu den Tönen junger Zigeuner. Ganz benommen von der Freiheit erreichen die beiden schließlich ihr Ziel.

Doch die Reise ist auch ein Weg zueinander; täglich erkunden sie einander die Haut und Narben ihrer schwitzenden Körper. Und es ist ein Weg zu den eigenen Ursprüngen. Als sich das Paar auf einer algerischen Landstraße durch ihnen entgegenströmende Menschenmassen quälen muß, wird ihm bewußt, daß es den entgegengesetzten Weg geht. Nicht raus aus ihrer alten Heimat drängt es die beiden Exilanten, sondern hinein ins Land, zu ihren nationalen und familiären Wurzeln. Fremd und unheimlich erscheint der westlichen Naima das islamisch geprägte Nordafrika. Das Mädchen im Sommerkleid wird auf offener Straße beschimpft und zwingt sich schließlich, ein Kopftuch aufzusetzen.

Heilung ihrer zerrissenen Seelen finden Zano und seine Freundin dann während einer mystischen Sufi-Zeremonie. Endlos lange wird die Ekstase der jungen Naima gezeigt, bis sie weinend zusammenbricht, als sie sich mit der unsichtbaren Kraft in sich versöhnt hat: Zano und Naima sind heimgekehrt.

Tony Gatlif hat einen Film gedreht, der Freude macht, je länger man in ihn schaut. Das Feuer, das Leben dringt aus jeder Einstellung dieser Auseinandersetzung mit persönlicher Identität.


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