© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

"Rückkehr zum Patriotismus"
Der Ex-SPD-Bundesminister Dieter Haack über die Kampagne gegen Burschenschafter und die nationale Tradition seiner Partei
Moritz Schwarz

Herr Dr. Haack, für Helmut Schmidt waren Sie vertrauenswürdig genug, um 1978 Bundesminister zu werden. Wenn es allerdings nach den Jusos ginge, hätten Sie als "Alter Herr" einer Studentenverbindung in der SPD nichts zu suchen.

Haack: Das überrascht und berührt mich nicht.

Der Parteivorstand hat den von den Jusos im November auf dem SPD-Bundesparteitag in Karlsruhe erwirkten Unvereinbarkeitsbeschluß (JF berichtete mehrfach) abgelehnt. Danach sollte eine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft oder einem Corps eine Mitgliedschaft in der SPD ausschließen. Nun hat allerdings Juso-Chef Björn Böhning in einem Interview angekündigt, die Jungsozialisten wollten den Beschluß eben auf dem Wege der öffentlichen Empörung durchsetzen.

Haack: Es steht den Jusos natürlich frei, das zu versuchen. Ich kann mich nur dem anschließen, was mein Parteifreund Friedhelm Farthmann im Interview mit Ihrer Zeitung unlängst dazu gesagt hat: "Ich bin gegen Gesinnungsschnüffelei!"

Befürchten Sie nicht, daß sich die Jusos am Ende durchsetzen werden?

Haack: Das glaube ich nicht.

Der Parteivorstand hat den Beschluß lediglich mit 18 zu 14 Stimmen abgelehnt. Wenn die Jusos ihr Anliegen geschickt an die vorherrschende "Kampf gegen Rechts"-Stimmung koppeln, sollte es ihnen möglich sein, früher oder später die vier sperrenden Stimmen zu kippen.

Haack: Zu denen, die den Beschluß abgelehnt haben, gehören, wie zu lesen war, Parteichef Platzeck, Ministerpräsident Beck, Umweltminister Gabriel, Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier und Generalsekretär Hubertus Heil. So einfach ist diese Mehrheit nicht zu überwinden.

Böhning nennt das Abweichen des Parteivorstandes vom Beschluß des Parteitages eine "Sauerei" und einen "Skandal".

Haack: Das ist in der Tat nicht üblich, aber beileibe kein Skandal. Nicht nur weil der Vorstand das Recht hat, den Beschluß abzulehnen, sondern weil der Parteitagsbeschluß ebenso undifferenziert war wie der Juso-Antrag, der ihm zugrunde liegt.

Immerhin konnten die Jusos den Parteitag für ihren Antrag gewinnen. Es handelt sich also keineswegs um eine in der SPD nicht mehrheitsfähige, spinnerte Juso-Kapriole.

Haack: Viele Parteitagsbeschlüsse werden im Zuge einer emotionalen Stimmung und ohne Sachkenntnisse der Delegierten verabschiedet. Das sagt nichts darüber aus, wie das an der Basis der Partei gesehen wird. Was ist nicht schon alles auf Parteitagen beschlossen worden? Zum Beispiel in den siebziger Jahren die Abschaffung des Berufs des Maklers! Der Vorstand konnte dem damals übrigens nicht stattgegeben, weil er natürlich nicht befugt ist, sich über die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland hinwegzusetzen.

"Verbindungen: differenziertere Diskussionskultur als die Jusos"

Böhning kritisiert, daß Verbindungen "elitäres Selbstbewußtsein, Lebensbundprinzip und Ausgrenzung von Frauen" pflegen, einige zudem "völkisch denken, Ausländer diskriminieren und Verbindung mit rechtsextremen Kreisen haben". Als Werte der SPD nennt er dagegen: "Freiheit, Gleichheit und Solidarität".

Haack: Diese Gegenüberstellung offenbart, wie ideologisch sein Standpunkt ist. Das ist keine Beschreibung, die der Realität gerecht wird, sondern eine extrem verkürzte, polarisierende und politisch orthodoxe Sicht der Dinge. Was zum Beispiel ist gegen das Lebensbundprinzip - also den Grundsatz, sich ein Leben lang einander verbunden zu fühlen - aus freiheitlich-demokratischer Sicht einzuwenden? Die Betrachtungsweise Böhnings läßt außerdem Faktoren wie zum Beispiel die historische Entwicklung des Verbindungswesens außer acht und unterstellt deshalb politische Motive, wo es vor allem um Tradition geht. Wenn Verbindungen Frauen und Ausländer nicht aufnehmen, so ist das meist nicht Ausdruck einer chauvinistischen Geisteshaltung, sondern hat vielmehr mit deren historischem Selbstverständnis zu tun, denn als das Verbindungswesen im 19. Jahrhundert entstand, studierten fast nur Männer. Ganz abgesehen davon, daß nicht wenige Verbindungen sich heute auch für Frauen und Ausländer geöffnet haben. Sicher gibt es leider auch Menschen mit "völkischem Denken" in den Reihen der 150.000 Verbindungsstudenten in Deutschland, aber was die Jusos eigentlich wohl damit meinen, ist die traditionell patriotische Ausrichtung der meisten Verbindungen. Nicht zuletzt unterschlagen die Jusos völlig, daß es auch bei den Verbindungen einen Prozeß der politischen Auseinandersetzung innerhalb der Verbände gab und gibt, der zum Beispiel zur Gründung einer neuen Dachverbandsorganisation, der Neuen Deutschen Burschenschaft (NDB), 1996 geführt hat.

Die Jusos sehen als Gegensatz zum eigenen Standpunkt offenbar nur den Extremismus. Wo bleibt da Raum für Positionen, die nicht extremistisch sind, aber auch nicht auf Juso-Linie liegen, wie etwa konservative Positionen?

Haack: Die scheint es nach Auffassung der Jusos nicht zu geben, beziehungsweise sie scheinen den Jusos nicht wert, von extremistischen Positionen unterschieden zu werden. Alles, was nicht auf der eigenen Seite steht, wird automatisch zum Lager des "Feindes" gezählt. Für eine dritte, vierte oder fünfte Position ist in diesem Denken kein Platz. Es gibt nur Schwarz und Weiß. Das ist das typische Merkmal für ideologisches Denken. Mir erscheint übrigens die Diskussionskultur bei den Verbindungen sehr viel differenzierter zu sein als bei den Jusos.

Die Verbindungen haben eine höher entwickelte demokratische Diskussionskultur als die Jusos? Starker Tobak für die Jung-SPDler!

Haack: Nennen Sie mir eine Studentverbindung, die in den letzten Jahrzehnten einen Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der SPD verabschiedet hätte, weil es bei den Jusos linksextreme Bestrebungen gab oder gibt - was wohl kaum zu bestreiten ist. Im übrigen, selbst wenn eine Verbindung in der Tat in rechtsextremes Fahrwasser gerät - ich unterstelle das jetzt einfach mal -, so läßt sich deshalb noch keineswegs sagen, daß auch alle ihre Mitglieder rechtsextrem sind. Nach meiner Überzeugung ist jede Verallgemeinerung grundsätzlich falsch. Mann kann nicht Menschen, die persönlich untadelig sind, unter Verdacht stellen, nur weil sie der einen oder anderen Gruppierung angehören.

In einem Interview mit der SPD-Parteizeitung "Vorwärts" qualifiziert der korporierte Sozialdemokrat und stellvertretende Bundessprecher des SPD-nahen "Initiativkreises Wirtschaft - Junge Führungskräfte" David Milleker den Juso-Antrag als "Ablehnung einer Lebensform".

Haack: Diese Kritik müßte die Jusos hart treffen, die doch sonst so gerne die Pluralität der Lebensformen als höchstes Gut preisen. Milleker legt den Finger in die Wunde, wenn er aufzeigt, daß hier die Jusos ihren eigenen politischen Idealen widersprechen.

Böhning sieht mit der Ablehnung des Beschlusses den "Antifaschismus" der SPD als unglaubwürdig in Gefahr.

Haack: Ich persönlich stehe diesem Begriff reserviert gegenüber, weil er zum Kampfvokabular der Kommunisten gehört.

Das Rechtsstaatsprinzip - der individuelle Schuldnachweis - steht im Widerspruch zum "Antifaschismus" und seinem Prinzip des "Gesinnungsverbrechens". Wofür steht nun die SPD?

Haack: Wenn Sie sich die Geschichte der SPD anschauen, dann ist ganz klar, daß sie nicht die Partei der Gesinnungsherrschaft, sondern der Herrschaft des Rechts ist.

Dann stehen die Jusos außerhalb der von der SPD traditionell vertretenen Werte?

Haack: Das wäre nicht das erste Mal.

Warum problematisiert niemand, daß sich die Jusos damit - von einem freiheitlich-demokratischen Standpunkt aus betrachtet - offenbar in einem Grenzbereich zwischen Demokratie und Extremismus bewegen?

Haack: Ich finde es falsch, nun die Diskussion von der anderen Seite anzuheizen. Ich bin froh, daß durch den Vorstandsbeschluß diese Debatte vorerst beendet ist.

Ausgerechnet die extrem linke und dezidiert "antideutsche" Wochenzeitung "Jungle World", erinnerte Böhning in einem Interview daran, daß es "nicht erst seit Kurt Schumacher nationale Traditionen in der SPD gibt".

Haack: Eben - und wenn Sie sich die bedeutenden Führungspersönlichkeiten der SPD anschauen, so waren die von Anfang an überwiegend recht nationalgesonnen: Ferdinand Lasalle, Friedrich Ebert, Kurt Schuhmacher, Herbert Wehner, Willy Brandt, Helmut Schmidt.

Und nicht zuletzt die Sozialdemokraten des 20. Juli 1944.

Haack: Natürlich war für diese auch der Patriotismus eine Grundlage, auf der sie sich mit den Vertretern der anderen gesellschaftliche Gruppen - Christen, Bürgerliche, Militärs - zu einer gemeinsamen Aktionsgemeinschaft zusammenfinden konnten.

Böhning gibt zu, daß "nationale Ideologien in der Geschichte der SPD durchaus vertreten waren". Fordert aber, "sich davon heute klar abzugrenzen" und - in schönstem "Säuberungs"-Vokabular - die "Anknüpfungspunkte an Deutschtümelei und Nationalismus" in der Partei "offenzulegen und zu bekämpfen".

Haack: Natürlich muß man sich gegen "Nationalismus" und "Deutschtümelei" wenden, aber das in Verbindung zu bringen mit der nationalen Tradition der SPD, ist ein Unding! Er erweckt damit den Eindruck, als ob Ebert, Schumacher, Brandt und Schmidt auch in diese Ecke gehören.

Wie verhält es sich also mit der SPD und der Nation aus Ihrer Sicht?

Haack: Gerade Sozialdemokraten sollten in Verantwortung vor dem Volk handeln und sich darum bemühen, dem ganzen Land zu dienen. Sozialdemokraten wollen eine gerechtere Gesellschaft, das heißt sie treten für den Ausgleich ein. Insofern sehe ich Sozialdemokraten im Grunde als per se patriotisch an. Und trotz allem sozialdemokratischem Internationalismus hat man als deutscher Sozialdemokrat natürlich eine besondere, nationale Verantwortung für das eigene Land. Patriotismus, also die Liebe zum eigenen Land und die Achtung anderer Nationen, ist dabei nicht zu verwechseln mit Nationalismus, der nicht nur fremde, sondern auch das eigene Volk nicht achtet, wie das Beispiel Hitler ja gezeigt hat.

Das ist aber nicht nur ein Problem der Jusos. Gerade in den Jahrzehnten vor der Wende 1989 wurde es in der SPD immer schicker, sich antipatriotisch - zum Beispiel gegen die Wiedervereinigung - zu gebärden.

Haack: Das war in der Tat eine schlimme Entwicklung. Davon war jedoch nicht allein die SPD, sondern fast die ganze bundesdeutsche Gesellschaft erfaßt. Ich sehe jedoch seit der Wiedervereinigung eine zwar zaghafte, aber eindeutige Rückkehr zu einem positiven Verständnis von Patriotismus in der SPD wie in unserer ganzen Gesellschaft.

Der Politikwissenschaftler Jens Hacker schrieb in seiner Studie "Deutsche Irrtümer" (1994), daß "im Verlauf der achtziger Jahre nahezu die gesamte Führungselite der SPD - wenn man von Helmut Schmidt, Dieter Haack und einigen anderen absieht - von 'Deutschland' Abschied genommen hat".

Haack: Im Zuge der Entspannungspolitik hingen leider immer mehr Sozialdemokraten der These an, die das Festhalten am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes als Ausdruck von Nationalismus diffamierte. Schon an sich schlimm genug, ist es besonders schmerzlich, daß sie sich obendrein der klaren Einsicht verweigerten, daß das Wiedervereinigungsgebot im Grunde Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts unseres Volkes war. Insofern war die Wiedervereinigung eigentlich eine politische Größe, die voll und ganz dem Selbstverständnis einer emanzipatorischen Partei entsprach, und also ein zutiefst sozialdemokratisches Anliegen.

Wie konnte es mit der "Alten Tante SPD" soweit kommen?

Haack: Das habe ich mich auch immer gefragt. Ich habe bis heute keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Das Problem der SPD war, daß die CDU 1982 die Deutschland- und Ostpolitik der Sozialdemokraten übernommen hatte. Dadurch glaubte sich die SPD gezwungen, sich deutschlandpolitisch weiter "links" positionieren zu müssen, was schließlich in der absurden und allen demokratischen und antitotalitären Idealen der SPD Hohn sprechenden Kooperation mit der SED mündete. Dazu gehörte auch das Aufgeben und sogar Verunglimpfen des Nationalstaats- und Wiedervereinigungsgedankens. Heute ist das zum Glück eine Position von gestern. Es ist nur bedauerlich, daß sich ausgerechnet eine Jugendorganisation in dieser Hinsicht als die reaktionäre Nachhut gebärdet.

Die Jusos empfinden das nicht so. Sie sehen sich als Avantgarde einer globalen Welt.

Haack: Gerade die globale Welt wird der Nation - bei uns eingebettet in einen europäischen Verbund - wieder neue Bedeutung verleihen. Ich sehe die Jusos deshalb in ihrer momentante Verfassung weniger als die Ersten von morgen, sondern vielmehr als die Letzten von gestern.

 

Dr. Dieter Haack, Bundesminister a.D. ist seit 1961 Mitglied der SPD und seit 1953 Mitglied der Burschenschaft der Bubenreuther zu Erlangen im Verband der Neuen Deutschen Burschenschaft (NDB). Der Jurist war von 1969 bis 1990 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, ab 1982 Mitglied des Fraktionsvorstandes der SPD. Von 1978 bis 1982 war er Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Geboren wurde er 1934 in Karlsruhe.

 

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