© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Hände an der Hosennaht
Gedenkpolitik: Die polnische Forderung nach einem "Museum des polnischen Martyriums" in Berlin führt bei deutschen Politikern zu voraussehbaren Reaktionen
Doris Neujahr

Die polnische Forderung an Deutschland, in Berlin ein "Museum des polnischen Martyriums" zu errichten, verdient eigentlich gar keine Antwort, nicht einmal eine Zurückweisung. Zu lächerlich ist die Vorstellung, der christologisch-romantischen Selbstüberhebung unserer Nachbarn ("Christus unter den Völkern") eine Bühne zu bereiten. Der stellvertretende polnische Parlamentspräsident Marek Kotlinowski, ein Mitglied der Liga der Polnischen Familien, hat versichert, die Einrichtung solle keine neuen Gräben schaffen, sondern "verbinden". Die Verbindung soll praktischerweise dadurch hergestellt werden, daß die deutsche Seite den polnischen Standpunkt übernimmt.

Die Idee ist mehr als nur eine Retourkutsche für das deutsche Zentrum gegen Vertreibungen, denn Erika Steinbach möchte das Zentrum nicht in Warschau, sondern in Berlin errichtet wissen. Rechtsanwalt Stefan Hambura dagegen, der Initiator des Martyrium-Projekts, will für sein Projekt das zu errichtende Berliner Stadtschloß in Beschlag nehmen. Hambura ist Vertreter der Polnischen Treuhand und hat das polnische Parlament bei der Formulierung seiner Reparationsdrohungen an Deutschland beraten.

Wie oft hat Steinbach als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen beteuert, nichts mit der Preußischen Treuhand zu tun zu haben, und sich von ihr distanziert! Es war umsonst. Die Treuhand ist ein Standardargument, um das Zentrum zu diskreditieren. Bei Hambura liegt die Verbindung der Museumsidee mit politischen, juristischen und materiellen Interessen offen zutage, doch niemand stört sich daran.

Im Gegenteil. In der Presse arbeitet sich das Thema aus der linken Ecke (taz, Neues Deutschland, Jungle World) dank eines polonophilen Journalisten in die biedere Lokalpresse vor. Im Berliner Tagesspiegel hat Hambura persönlich zur Feder gegriffen. Und siehe da, schon beginnen deutsche Politiker sich zu regen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelica Schwall-Düren, zuständig für Europa-Angelegenheiten und in diversen deutsch-polnischen Organisationen, darunter der gemeinsamen Parlamentariergruppe tätig, hält ein polnisches Museum in Berlin für eine gute Idee, denn sie weiß: "Die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat war die direkte Folge der Nazi-Verbrechen. Sie unter anderem war das Ergebnis der Westverschiebung Polens, wie sie auf den Konferenzen der Siegermächte beschlossen worden waren."

Würde man sie mit Begriffen und Tatsachen konfrontieren wie: Versailles, Curzon-Linie, die Unterdrückung der deutschen Minderheit im polnischen "Korridor", sie würde gewiß nur blöde aus der Wäsche gucken. Trotz Lehrerexamen, Doktortitel und ihrer fast 60 Jahre ist Schwall-Düren in ihrer historischen und politischen Urteilsfähigkeit ein großes Mädchen geblieben, wie übrigens die meisten linksdrehenden Politikerinnen ihrer Generation.

Das hindert zwei prominente Halbstarke aus der Unionsfraktion nicht, ihr zur Seite zu stehen. Die Idee eines polnischen Museums in Berlin stammt von Ruprecht Polenz, dem Fraktionsexperten für Außenpolitik. Allerdings soll es sich nicht auf die Martyriologie beschränken, sondern die polnische Geschichte "in ihrer ganzen Breite" widergeben.

Ob zur "ganzen Breite" auch der Fakt gehört, daß der "Madagaskar-Plan" zur Judenaussiedlung in Polen warmherzige Befürworter fand, und zwar schon vor Hitler? 1937 sondierte eine polnische Delegation mit Erlaubnis der französischen Kolonialmacht vor Ort Ansiedlungsmöglichkeiten für die polnischen Juden, die Hambura heute der nationalen Opferbilanz zuschlägt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert, der sich als Vordenker von Partei und Parlament zu profilieren versucht, will zwar am Zentrum gegen Vertreibungen festhalten, meint aber, daß die Wünsche und Martyriologie-Vorstellungen Kotlinowskis ein "unverzichtbarer Bestandteil" sein müßten. Damit würde das Konzept in sein Gegenteil verkehrt, trotzdem hat Steinbach schon halb zugestimmt. Was bleibt ihr auch anderes übrig, wenn sie Reste ihres Projekts retten will? Diese faule Angelegenheit werden deutsche Politiker bald einen "Kompromißvorschlag" nennen.

Doch der ist Karol Karski, dem Europa-Experten von "Recht und Gerechtigkeit", zu wenig. Er will ein separates Märtyrer-Zentrum in Berlin, schließlich hätten die Deutschen den anderen überhaupt erst beigebracht, "wie man Menschen vertreibt", lügt er.

Karskis Partei wie auch die Polnische Familienliga gehören jenem rechtsnationalistischen Spektrum an, das in Deutschland als Gottseibeiuns gilt. Doch wenn aus dieser Ecke auf der Hitler-Klaviatur gespielt, antideutsche Ressentiments geschürt und das eigene Kollektivschicksal beleidigt werden, nehmen deutsche Politiker brav die Hände an die Hosennaht. Ihr Verhalten liegt in der ehernen Logik der deutschen Vergangenheitspolitik, der auch CDU/CSU nichts entgegenzusetzen haben.

Nur der SPD-Abgeordnete Markus Meckel, der vor anderthalb Jahren die Polen gegen den Bund der Vertriebenen aufgestachelt hatte, warnt nun vor der "Inflationierung" der Museen. Aus seinen "Ossi"-Ursprüngen heraus hatte er wohl geglaubt, das bundesdeutsche Schuld-und-Sühne-Gerede beruhte auf ethischen Grundlagen. Begreift er, daß es um Pathologien, um Deutungshoheit, um Macht, um Geld geht? Hätte er doch nur beizeiten den Mund gehalten!

Foto: Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte als Vorbild: Logik deutscher Vergangenheitspolitik


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