© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Blüms haltloses Versprechen
Sozialpolitik: Das Trugbild vom Ertragsanteil in der Gesetzlichen Rentenversicherung / 3,3 Millionen Rentner steuerpflichtig
Klaus Peter Krause

Die Renten sind sicher", versprach Norbert Blüm während seiner 16jährigen Amtszeit als Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. In welcher Höhe sie sicher sind, verriet der einstige CDU-Vize allerdings nicht. Der neue Arbeitsminister Franz Müntefering scheint da etwas vorsichtiger. Der Ex-SPD-Chef versprach kürzlich nur noch, in dieser Legislaturperiode dafür zu sorgen, "daß die Renten nicht gekürzt werden".

Wie wenig sie nach ihrem Berufsleben für das bekommen, was sie in die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einzahlen müssen, wissen die künftigen Rentner noch nicht genau,. Die gegenwärtigen Rentner dagegen haben schon erfahren, daß ihre Renten in den letzten beiden Jahren nicht mehr erhöht worden sind, auch 2006 nicht erhöht werden und daß sie damit den einst zugesicherten Inflationsschutz bereits verloren haben. Auch müssen viele ihre Rente seit Jahresbeginn 2005 höher versteuern. Künftig unterliegen laut einer Schätzung des Bundesfinanzministeriums statt bisher 2 nun 3,3 Millionen Rentner der Steuerpflicht. Mit dem Alterseinkünftegesetz wird nämlich der schrittweise Übergang zur "nachgelagerten" Besteuerung der Renten (und Beamtenpensionen) geregelt. Doch sollen 10,9 Millionen Rentner durch hohe Freibeträge vorerst unbesteuert bleiben.

Zwar ist es durchaus sinnvoll, die Einkünfte aus der Altersvorsorge erst dann zu besteuern, wenn sie den Ruheständlern zufließen, und jene Teile des Einkommens, die sie während ihres Berufslebens für die Altersvorsorge aufgewendet haben, unbesteuert zu lassen. Aber die nachgelagerte Besteuerung jetzt ist auf den sogenannten Ertragsanteil bezogen, der in der GRV-Rente angeblich noch enthalten ist. Er ist auch bisher schon besteuert worden.

Für Beschäftigte, die im Regelfall mit 65 Jahren aus dem Beruf ausschieden, war dieser Ertragsanteil auf 27 Prozent der Rente festgelegt worden. Mit Jahresbeginn 2005 wurde er auf 50 Prozent heraufgesetzt. Damit zwingt das Alterseinkünftegesetz den "Bestandsrentnern" eine Besteuerung von 50 Prozent ihrer Rente auf. Aber einen Ertragsanteil gibt es gar nicht mehr, und zwar seit dem endgültigen Wechsel von der einst kapitalgedeckten Alterspflichtversicherung zum reinen GRV-Umlageverfahren ("Generationenvertrag") im Jahr 1969. Denn da nicht mehr kapitalgedeckt, fallen aus dem nicht mehr vorhandenen und nicht mehr verzinsten Kapital keine Erträge mehr an. Trotzdem wird der "Ertragsanteil" weiter der Einkommensteuer unterworfen. Mit der nachgelagerten Besteuerung ist dies noch ungerechtfertigter.

Kapitalgedeckt war die allgemeine Alterspflichtversicherung bis 1957. Trat der Rentenfall ein, enthielt die gezahlte Rente erstens einen Anteil, der aus dem im vorangegangenen Berufsleben eingezahlten Beiträgen (aus zumindest teilweise versteuertem Einkommen) bestand. Zweitens enthielt sie einen Anteil an den Zinserträgen, die sich daraus ergaben, daß die eingezahlten Beiträge am Geld- und Kapitalmarkt angelegt wurden. Nur dieser Ertragsanteil durfte besteuert werden, nicht dagegen der mit der Rente zurückerstattete Anteil am Kapitalstock.

Die Hinwendung zum Umlageverfahren begann 1957, endgültig vollzogen wurde der Wechsel 1969. Doch das Trugbild, daß die Rente noch immer einen Ertragsanteil enthalte und dieser zu besteuern sei, wurde beibehalten. Dabei bleibt es selbst dann noch, seitdem ein immer größerer Teil der auszuzahlenden Renten durch allgemeine Steuergelder (derzeit etwa 80 Milliarden Euro jährlich) finanziert werden muß, weil das Umlageverfahren (auch wegen seines politischen Mißbrauchs) sonst längst zusammengebrochen wäre.

Da es einen "Ertragsanteil" eigentlich nicht mehr gibt, dürfte er auch nicht besteuert und schon gar nicht erhöht werden. Also müßte eine andere Begründung herhalten, um die Bestandsrenten nachträglich zu besteuern. So ließe sich darauf verweisen, daß die GRV-Pflichtbeiträge während des Berufslebens aus zwei Hälften bestehen: Die eine zahlt der Arbeitgeber, die andere der Arbeitnehmer.

Doch ausschließlich die Arbeitnehmer-Beitragshälfte unterliegt der Besteuerung, gemildert nur durch den (sehr begrenzten) Sonderausgabenabzug als Vorsorgeaufwendung.

Folglich drängt es sich auf zu sagen: Wenn die Beschäftigten mit der Arbeitgeber-Beitragshälfte ihren GRV-Anspruch steuerfrei verdoppelt haben, wäre es gerechtfertigt, diese Hälfte der Rente nun im Ruhestand nachträglich der Steuer zu unterwerfen  wie es seit 2005 geschieht. Insofern ist das Alterseinkünftegesetz im Ansatz nicht falsch. Dagegen steht, daß "Bestandsrentner" nun eine um diese zusätzliche Steuer deutlich geringere Rente erhalten.

Dem, der jetzt mit 65 Jahren seine erste Rente bezog, werden 23 Prozent der Rente schlagartig höher besteuert. Ein gleitender Übergang findet hier nicht statt. Wird die GRV-Rente (um die Geldentwertung aufzufangen und orientiert am Anstieg der Durchschnittsverdienste) erhöht, wird dieser Erhöhungsteil sogar in vollem Umfang besteuert. Damit ist der Vertrauensschutz gewiß verletzt. Indirekt gekürzt wurden die Bestandsrenten bereits 2004, weil die Rentner den 1,7-Prozent-Beitrag für die Pflegepflichtversicherung seither voll tragen müssen.

Rückwirkende Bestimmungen sind dem Staat nur im Strafrecht ausdrücklich untersagt. Aber auch im Steuerrecht sind sie ihm nicht ohne weiteres erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht verweist dabei auf den Grundsatz der Rechtssicherheit. So hat das Höchstgericht in seiner Entscheidung vom 6. März 2002 zur verfassungsmäßigen Besteuerung der gesetzlichen Altersrenten und Pensionen (2 BvL 17/99) Grundsätze aufgestellt und dem Gesetzgeber aufgegeben, sie und den Vertrauensschutz zu beachten. Dabei müsse er die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Altersbezügen so aufeinander abstimmen, daß eine doppelte Besteuerung vermieden werde.

Ob ihm das wirklich gelungen ist, muß sich erst noch zeigen. Die Rentenversicherung steht unter verfassungsrechtlichem Eigentumsschutz. Würde ein Privatversicherer so verfahren wie der Staat mit der GRV, hätte er sofort das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) am Hals.

 

Rentner im Wiesbadener Kurpark: Alterseinkünftegesetz bringt zunehmende Besteuerung der Rente


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