© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Zeitschriftenkritik: Hier & Jetzt
Lesen macht schlauer
Thorsten Hinz

Wenn ein junges Periodikum durch eine gelungene Gestaltung und einen diskutablen, bisweilen überaus informativen Inhalt ins Auge fällt, sich beim Blick auf den Herausgeber dann aber als Kind einer Organisation erweist, die seit Jahr und Tag vor allem durch Peinlichkeiten von sich reden macht - sollte man da lachen oder weinen? Zunächst wohl sich gründlicher Lektüre widmen.

Hier & Jetzt (Untertitel: Gesellschaft-Politik-Bewegung) führt die Silhouette eines behelmten Bogenschützen (der Pfeil weist nach links, also: zurück) als Emblem auf blutrotem Untergrund. Die Zeitschrift - 34seitig die Erstausgabe "Winter 2005" - möchte "primär revolutionärer Theorie transportieren und alternative Modelle des gesellschaftlichen Miteinanders transportieren". Dies unter der Maßgabe, einen "modernen Nationalismus und identitäre Lebensart jenseits der Schmuddelecken" formulieren zu wollen.

Unter der Rubrik "Politische Theorie" findet sich ein fünfseitiger Artikel des 68er-Wortführers Reinhold Oberlercher zum Thema "Arbeitslose Einkommen". Die Gourmetvariante einer Kapitalismuskritik, voilá! Formelhaft-hermetisch, intellektualistisch, mitunter konfus (Bandwurmsätze über 14 Zeilen), lesenswert dennoch.

Zwischen Stellungnahmen zu "nationalistischen Aktionsformen im Umweltschutz" (ein Plädoyer gegen Gentechnik), dem "Kampf gegen Rechts" in der Sächsischen Schweiz, Buch- und Filmbesprechungen (Uwe Tellkamps "Eisvogel" und Malte Ludins NS-Familienaufarbeitungsfilm) steht ein Interview mit dem langjährigen Waldorflehrer Andreas Molau, dessen Kinder nach seinem Wechsel in die Parteiarbeit der NPD von der Schule verwiesen wurden.

Hier geht es nicht um jenen "Fall Molau", sondern um die Erziehungsprinzipien Rudolf Steiners und deren Wert in einer heute weithin desolaten Schullandschaft. Steiners Pädagogik, so erläutert Molau, richte sich nach den Entwicklungsprinzipien der Kinder. "Dazu gehört zum Beispiel auch, daß Steiner das zu frühe Urteilen ablehnt, das heute in den Staatsschulen mit zu frühen Diskussionen geradezu eingeprügelt wird. Dazu gehört aber auch, daß man sich nur zum Menschen entwickeln kann, wenn man nicht nur den Kopf im Unterricht benutzt, sondern auch Herz und Hand."

Textlich zum Teil eher jungfrisch denn professionell - was kein Minuspunkt ist, solange man sich, was hier gegeben ist, Peinlichkeiten enthält -, sticht die ansprechende Gestaltung des Blattes hervor. Auf der Umschlagrückseite ein Schachbrett, der König ist bereits gefallen. Diagonal durchquert ein Zitat Ernst Jüngers die Szene: "ein mann kann mit den mächten der zeit harmonieren, er kann zu ihnen in kontrast stehen. Das ist sekundär. Er kann an jeder stelle zeigen, wie er gewachsen ist. Damit erweist er seine freiheit -physisch, geistig, moralisch, vor allem in der gefahr. Wie er sich treu bleibt: das ist sein problem."

Hier & Jetzt, und da schlackern einem doch die Ohren, wird von der Jugendorganisation der sächsischen Nationaldemokraten herausgegeben. Also jetzt: lachen oder weinen? Lesen macht schlauer.

Bezugsadresse: Hier & Jetzt, JN Sächsische Schweiz, Postfach 12 01 16, 01787 Pirna


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