© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Brechanfälle
Miserabel: "Urlaub vom Leben" von Neele Leana Vollmar
Claus-M Wolfschlag

Debütfilme deutscher Nachwuchsregisseure sind oft schrecklich. Auch Neele Leana Vollmars Streifen "Urlaub vom Leben" ist eine einzige Qual. Man rutscht auf dem Kinosessel hin und her, wünscht sich, daß das alles ganz schnell an einem vorübergleitet und man rasch wieder draußen frische Luft atmen darf.

Dabei basiert "Urlaub vom Leben" auf einer eigentlich interessanten Grundidee: Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler), Bankangestellter, Ende 40, findet sich mit seiner beruflichen und privaten Routine nicht mehr zurecht. Er erhält Urlaub, erzählt seiner Familie aber nicht davon, geht jeden Tag aus dem Haus. Statt dem gewohnten Trott nachzugehen, fängt er an, heimlich den Alltag seiner Familie zu beobachten und den Tag mit Entdeckungsreisen zu verbringen.

Der britische Regisseur Mike Leigh hat vor einigen Jahren mit "All or nothing" bewiesen, daß ein vergleichbarer Stoff, aufmerksam umgesetzt, zu einem beeindruckenden Sozialpsychogramm verarbeitet werden kann. Die 1978 geborene Vollmar, die ihr Handwerk an der Filmakademie in Ludwigsburg erlernte, hätte sich daran ein Vorbild nehmen können. Statt dessen bleibt sie in der gekünstelten Überzeichnung stecken, die viele schlechte deutsche Filme ausmacht - erinnert sei nur an Klaus Gietingers Ossi-Klamaukeske "Heinrich der Säger" von 2001.

Keine der Figuren in Vollmars Streifen ist auch nur annähernd glaubwürdig. Einen äußerst angepaßten kleinen Bankangestellten überfällt urplötzlich, zumindest ohne jede Erläuterung, antibürgerlicher Weltekel. Um das auch zu demonstrieren, ereilen ihn schubweise bulemische Brechanfälle.

Daraufhin wird Köster von seinem Arbeitgeber zwangsbeurlaubt. Nun hat er Freizeit und begegnet dabei andauernd unglaubhaft agierenden Schießbudenfiguren, etwa meckernden Cholerikern oder schleimigen Marketing-Fritzen, denen nicht mal eine blinde Oma etwas abkaufen würde, einer offenbar psychisch gestörten Kindergärtnerin und einem ebenso irrsinnigen Nachbarn.

Köster läuft in der offenbar sehr kleinen Stadt außerdem immer wieder derselben Taxifahrerin (Meret Becker) über den Weg, die scheinbar auch so wenig zu arbeiten hat, daß sie den fremden Bankangestellten den ganzen Tag kostenlos herumkutschiert, um mit ihm über den Sinn des Lebens zu diskutieren, ihn gar zum Essen einzuladen.

Kösters Sinnieren wird mit stets voraussehbarem Klaviergeklimper unterlegt, das wohl Herzschmerz ausdrücken soll. Strahlend reine Kinderseelen, die sich bereits über ein paar abgeschmackte Bonbons freuen, wo doch längst die Computerspiel-Konsole angesagt ist, werden dem Erwachsenentreiben entgegengesetzt.

Eine seltsame Mischpoke: Leute, die einerseits als reale, "normale" Figuren angelegt sind, zugleich aber viel zu künstlich gestikulieren, zu lyrisch versonnen sprechen, garniert noch mit lästigen Kommentaren aus dem Off, als daß man ihnen auch nur ein Wort abkaufen könnte. Doch anstatt den Weg dann wenigstens konsequent weiterzugehen, im Stile von Helge Schneiders satirischer Clownerie "Praxis Dr. Hasenbein" Unterhaltungskino mit Galgenhumor zu gestalten, möchte Vollmar ernsten Ansprüchen genügen.

Das geht vollends in die Hose. Auch die Mühe der Schauspieler kann nichts mehr retten. Meret Becker drückt das Ergebnis denn auch so scharf- wie nachsichtig aus: "Natürlich habe ich schon Studentenfilme gemacht. Das ist für mich völlig irrelevant. Was wichtig ist, daß die Leute mit Passion arbeiten und aus einem wirklichen Antrieb heraus das wirklich machen wollen."

Am Ende des Streifens steht ein Rolf Köster ohne Job, ohne Frau und mit zwei minderjährigen Kindern, die er versorgen muß: eine Hartz-IV-Karriere an der Absturzkante. Doch Regisseurin Vollmar nimmt sich auch dieses Schicksals nicht wirklich an, läßt den Mann statt dessen behaglich joggen und sich darüber auslassen, wie frei sich der arbeitslose Alleinerziehende nun fühlt. "Urlaub vom Leben" wurde koproduziert vom "kleinen Fernsehspiel". Heraus kam ein grausiges deutsches Märchen, nicht nur für Modernisierungsverlierer.

Foto: Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler, li.) in der Bar: Weltekel


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