© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Knacken und Knistern zwischen 45 und 33: Warum die Schallplatte lebt
Vom echten Gefühl: das Vinyl
Carla Weber

Es war ein symbolträchtiger Moment: Herbert von Karajan, Meister der klanglichen Perfektion wie der perfekten Selbstvermarktung, zog eine kleine Silberscheibe hervor und verkündete vor versammelter Presse, ab sofort seien alle anderen Tonträger wie "Gaslicht". In der Tat, der Siegeszug der digitalen Compact Disc war seit jener legendär gewordenen Pressekonferenz der Salzburger Festspiele von 1981 nicht mehr aufzuhalten.

Musikriesen wie Sony und Philips bezeichneten die CD als "ultimatives Speichermedium mit perfekter Klangqualität" und verbannten ihre analogen Vorgänger aus sämtlichen Musikläden und Kaufhausregalen. In den Aufnahmestudios wurde ausnahmslos digital aufgezeichnet, selbst historische Schallplattenaufnahmen auf Compact Disc gepreßt. Die vereinfachte Handhabe und angepriesene Dauerhaltbarkeit der CD veranlaßten Heerscharen von Käufern, ihre Musikbestände komplett auszutauschen. Die Langspielplatte gab es nur noch in verstaubten Hauskellern oder als Ramschware auf dem Trödelmarkt. Was von ihr blieb, waren liebevolle Abschiedsreden, in denen sie sich zwischen überlebten Phänomenen wie Autokino und Trockenhaube wiederfand. - Doch man kann sich auch irren.

Investition in die Schallplatte, als die Medien sie abschrieben

Spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends feiert die Schallplatte eine kleine, aber feine Auferstehung. Sie offenbart sich in einer Vielzahl von Plattenbörsen ebenso wie in diversen Schallplatten-Antiquariaten. Kleinere Labels handeln verstärkt mit limitierten Nachauflagen musikalischer Raritäten und bieten Neuerscheinungen in exklusiver Stückzahl an. Unternehmen wie die Optimal Media Productions im mecklenburgischen Röbel, Tochter der Edel Music AG, stellen neben CDs seit Mitte der neunziger Jahre wieder Vinyl her. Und - sie machen damit Umsatz. Der ist immerhin so groß, daß etwa Optimal ihren Mutterkonzern vor der sicheren Pleite bewahrte. Ironie der Geschichte: Die kleineren Unternehmen investierten just zu jener Zeit in die Schallplatte, als sich Konzerne wie Sony und Universal von ihr verabschiedeten.

Wer aber sind die Käufer der traditionellen Tonträger? Junge Leute lassen sich zunehmend infizieren von der DJ-Szene New Yorks oder St. Petersburgs, die durch Scratchen und Mixen eine eigene musikalische Sprache pflegt. Dazu gesellt sich ein Kreis von stets innovativen Musikern wie Christian Marclay, Philip Jeck oder Blixa Bargeld, die mit verschiedenen Klangeffekten der Schallplatte experimentieren. Ohnehin stehen Bargeld oder populäre Bands wie The White Stripes felsenfest zur LP. So werden Besprechungsexemplare der Stripes-Alben ausschließlich als Vinylpressung verschickt. Die Begründung: Nur Menschen mit Plattenspieler könnten Musik richtig hören und mithin beurteilen.

Neben jungen Leuten, die die LP vor dem Entdecken nur vom Erzählen her kannten, gibt es die Schicht der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die noch mit Märchensingles und später Langspielplatten groß geworden sind. Sie greift aus nostalgischen, vor allem aber aus ästhetischen Gründen auf Schallplatten zurück. In der Tat gehörten Platten-Cover und -Text oder Titel 1 auf Vorder- und Rückseite immer zum LP-Programm. Das Ende des legendären Beatles-Albums "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" mit seiner gepreßten Endlos-Musiksequenz kann eben nur für Minuten auf CD gebrannt werden. Haptisches und Optisches sind mit der Schallplatte untrennbar verbunden, während die CD in einen der verfügbaren Schächte der digitalisierten Welt quasi geräuschlos verschwindet.

Zudem bringt die analoge Tonaufzeichnung insbesondere bei mechanischer Abtastung einige subjektiv als "warm" empfundene Klangverfäl-schungen mit sich, die der verzerrungsarmen Compact Disc fehlen. Offenbar sind menschliche Augen und Ohren nicht auf digitale Perfektion ausgerichtet. Dieses Argument jedenfalls führen Audiophile ebenso ins Feld wie Anhänger der historischen musikalischen Aufführungspraxis, die gerade in der technischen Perfektion die "eigentliche Musik" verschüttet sehen.

Nach einem Vierteljahrhundert "weder Schall noch Rauch"

Aus welchen Gründen auch immer, die Anhänger der Schallplatte sind auf dem Vormarsch. Dies zeigt etwa der einheimische Absatz an Platten und Plattenspielern, der sich seit Mitte der 1990er Jahre mehr als verdoppelt hat. Selbst den Schwergewichten der Branche Sony oder Universal ist mittlerweile klargeworden, daß einem jahrelang kriselnden Geschäft nicht mit digitalen Spielereien und Trends aus der Retorte beizukommen ist. Hat der Mensch davon genug, will er sich besinnen: Er dreht das "Gaslicht" an. Diesen Umstand hatte nicht nur Karajan unterschätzt, als er das berühmte Knacken der Schallplatte verdammte, sondern mit ihm eine ganze Industrie.

Foto: Plattenteller: Alles dreht sich - Moment der Echtheit, des Haptischen


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