© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

PRO&CONTRA
Jugendstrafrecht abschaffen?
Markus Wagner / Markus Roscher

Im Namen des Volkes: Du, schlag bitte nicht noch einmal so heftig zu, das macht uns irgendwie betroffen. Beim nächsten Mal mußt Du 10 Arbeitsstunden ableisten".

Zugegeben etwas polemisch, aber: Die Pervertierung des liberalen Rechtsstaates führt weder zu adäquatem Opferschutz, noch macht sie Eindruck auf die Delinquenten und schon gar nicht führt sie zu einer Zustimmung im Volk, in dessen Namen Urteile gesprochen werden. Das Jugendstrafrecht führt mittlerweile zu Exzessen linksliberaler Kuschelpädagogik, welche einseitig ein falsches Verständnis für den Täter sucht und dies in seinen Lebensumständen und "der Gesellschaft" zu finden meint. Dabei bleiben sowohl der Schutz der Opfer als auch die Zustimmung der Bürger zu unserem Rechtsstaat auf der Strecke.

Der Fall "Mehmet" ist da nur exemplarisch. Zu Recht fragen sich rechtschaffene Bürger, wie so etwas in einem zivilisierten Land möglich sein kann. Eine Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre sowie ein sofortiger Kurzarrest nach der ersten Straftat (wie er noch in den 1970er Jahren durchgeführt wurde) hätten sowohl dem Täter gutgetan als auch das Risiko neuer Opfer minimiert. Statt dessen hat unser Staat dem Jungen gezeigt, daß sein Verhalten keinerlei Konsequenzen nach sich zieht. Mit diesem "Lernerfolg" ausgestattet, hat er diverse Raub- und Gewaltdelikte immer wieder aufs neue verübt und neue Opfer produziert.

Es gibt Jugendrichter, die sich damit brüsten, keine Verurteilungen auszusprechen. Der ehemalige Hamburger Innensenator Ronald Schill nannte sie einmal das "Kartell strafunwilliger Jugendrichter". Es gilt, diesen Sumpf trockenzulegen. Oder will man weiter wissentlich neue Opfer und Täter produzieren, nur weil man sich - in irriger Alt-68er-Ideologie - nicht traut, Grenzen zu setzten?

 

Markus Wagner ist Vorsitzender der Partei Rechtsstaatlicher Offensive - Offensive D (Ex-Schill-Partei).

 

 

Das Jugendstrafrecht trägt dem Umstand Rechnung, daß strafmündige Menschen (ab dem 14. Lebensjahr) bis zu ihrem 21. Lebensjahr durch die biologische Pubertät (14.-18. Lebensjahr) sowie durch die Altersstufe der Adoleszenz (12.-21. Lebensjahr) erhöhte Schwierigkeiten beim Übergang in die neue soziale Rolle eines erwachsenen Menschen haben. Adoleszenz ist gekennzeichnet durch das Größenwachstum, die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale und die inneren, seelischen Auseinandersetzungen des jungen Menschen mit den Veränderungen, die in ihm vorgehen, und den Anforderungen der Außenwelt im Hinblick auf die "soziale Reife": die Loslösung vom Elternhaus, den Übergang von der Schule ins Arbeitsleben.

In dieser Lebenssituation ist der junge Mensch oft überfordert, wenn er mit einer Fülle neuer Anforderungen und Einflüsse konfrontiert wird. Um ein kriminelles Abgleiten zu verhindern und gleichzeitig dem Jugendlichen die Verbindlichkeit sozialer Normen auch für ihn aufzuzeigen, enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ein Strafrecht, das versucht, den oben genannten Umständen gerecht zu werden. Während das Erwachsenenstrafrecht tatbezogen ist ("Tatstrafrecht"), ist die Erziehung zum Legalverhalten Ziel des Jugendstrafrechts ("Erziehungsstrafrecht"). Die Statistik zeigt, daß es sich hierbei nicht nur um einen liberalen oder gar frommen Wunschgedanken handelt: Für den Großteil der Jugendlichen hat die Kriminalität in der Altersstufe von 14 bis 21 Jahren nur einen episodenhaften, überwiegend entwicklungsbedingten Charakter. Der Gedanke des Jugendstrafrechts ist also berechtigt, stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo der sogenannte jugendliche Rückfalltäter (mindestens fünf Straftaten) in Erscheinung tritt. Zu diesem Tätersegment gehören nur 1,8 Prozent der registrierten jugendlichen Kriminellen, von denen aber wiederum "nur" ca. fünf bis fünfzehn Prozent auf Dauer kriminell bleiben.

 

Markus Roscher ist Rechtsanwalt in Berlin und als Fachanwalt für Strafrecht tätig.


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