© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

Die Woche
Berliner Alltag kehrt ein
Fritz Schenk

Der Start unserer ersten Bundeskanzlerin wurde allgemein als gelungen qualifiziert. Vor allem ihre außenpolitischen Auftritte hat Angela Merkel bravourös und mit Selbstbewußtsein absolviert. Dabei wurde sie kaum mit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder verglichen, was diesen quasi über Nacht in Vergessenheit geraten ließ. Ähnlich steht es mit dem Kapitel Joschka Fischer. Auch diesen Hansdampf in allen Gassen scheint kein Grüner von seiner Hinterbank wieder nach vorne locken zu wollen. Die Eckpfeiler des rot-grünen Projekts sind also abgeräumt. Schwarz-Rot ist akzeptiert. Das zeigt sich nicht zuletzt an den hohen Sympathiewerten, die in den jüngsten Umfragen für Merkel gemessen wurden.

Das aber deckt nur das allgemeine Erscheinungsbild ab. Und das kann sich schnell ändern, wie ja gerade der Absturz der bisherigen Lieblinge in nur knapp einem Vierteljahr zeigt. Was jetzt kommt - oder richtiger: kommen muß -, hat nichts mit dem Aufbau oder der Wiedererlangung von Sympathie und Vertrauen bei unseren Freunden und Nachbarn zu tun, sondern mit handfester Reformpolitik im eigenen Land. Und da ist ein heftiges Knirschen im Getriebe der Großen Koalition nicht zu überhören. Dabei kann der Streik im öffentlichen Dienst noch als lästiger Nebenschauplatz übersehen werden, denn er trifft Bund, Länder und Kommunen ja zu fast gleichen Teilen. Tiefer greifen da schon die unterschiedlichen Auffassungen um das Einbürgerungsrecht mit entsprechenden Tests und stärkerer Betonung der deutschen Sprache. Dies läuft zur Zeit zwar noch unter der Rubrik "Landtagswahlkämpfe", die Thematik berührt aber selbstverständlich ganz erheblich Bundesrecht.

Ernster zu nehmen sind da schon die Auseinandersetzungen über das Projekt "Rente ab 67". Hierbei erweist sich Arbeitsminister Franz Müntefering als stärkste Stütze der Kanzlerin. Ob, wie weit und wie lange ihm dabei die SPD folgt, kann niemand voraussagen. Auch darüber werden wohl erst die Ergebnisse der Landtagswahlen von Ende März nähere Auskunft geben. Interessant ist gegenwärtig jedoch, wie in der SPD versucht wird, Müntefering und den neuen (und von vielen Genossen als unerfahren betrachteten) Vorsitzenden Matthias Platzeck gegeneinander auszuspielen. Deutliche Unterschiede zwischen SPD und Union zeigen sich auch in der Beurteilung des Iran-Konflikts. Da setzt die Mehrheit der SPD wie in der Zeit des Kalten Krieges wieder allein auf Diplomatie und will auch nicht in Ansätzen militärische Optionen (Drohungen) anklingen lassen.

Und ausgeräumt ist innerhalb der Koalition auch längst noch nicht die in der Koalitionsvereinbarung offengelassene Frage des langfristigen Energiekonzepts, das heißt die Beantwortung der Grundsatzfrage, ob es in Deutschland beim endgültigen Aus für die friedliche Nutzung der Kernkraft bleiben soll. Aber auch innerhalb der Union sind noch längst nicht alle Kühe vom Eis. Zwischen Innenminister Wolfgange Schäuble und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung gibt es Gerangel über den inneren Einsatz der Bundeswehr (etwa aus Sicherheitsgründen während der Fußballweltmeisterschaft). Und die ganz großen Brocken - Haushaltssanierung, Steuerreform, Konjunkturbelebung, Entbürokratisierung - sind noch gar nicht angepackt worden. Merkel ist also ziemlich schnell im ganz normalen deutschen Alltag gelandet.


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