© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

Viele Gefahren, wenig Nutzen
Landwirtschaft: Die Grüne Gentechnik ist trotz Widerstandes und vieler Fragezeichen weiter auf dem Vormarsch
Michael Howanietz

Schnell forschen, noch rascher zulassen, klingt die Devise, wenn der internationale Gen-Weltmarkt mit seinen Produkten die Welt überschwemmt. Niemand kennt die Auswirkungen, die gentechnisch veränderte Nahrungsmittel auf den menschlichen Organismus längerfristig haben. Doch schon erste Kurzzeit-Beobachtungen lassen Schlimmes befürchten. Allergien, Herzerkrankungen oder Organschädigungen sind nur einige jener auf den regelmäßigen Verzehr von Gen-Kost zurückgeführten Symptome.

Die Früchte der Grünen Gentechnik verursachen aber schon größte Probleme, bevor sie in den Handel gelangen. Die Risiken ihrer Freisetzung sind vielfältig. Sind gentechnisch veränderte Organismen erst einmal in die Umwelt gelangt, ist es de facto unmöglich, sie an unkontrollierter Verbreitung zu hindern. Den Herstellern der Hochleistungsrassen und -sorten paßt das freilich bestens in ihr Weltmarkt-Konzept. Die Agrobiodiversität geht verloren, es kommt zu genetischer Verarmung, Krankheitsanfälligkeit und Mißernten.

Ein vielstimmiges Klagelied von ihren Erfahrungen mit der Gen-Industrie können die zentralindischen Baumwoll-Bauern singen. Nachdem das Saatgut der vom US-Biotechkonzern Monsanto patentierten BT-Baumwolle in Indien zugelassen und aggressivst beworben worden war, ließen sich viele Bauern auf einen Versuch ein. Die meisten dieser Landwirte mußten Bankkredite aufnehmen, um sich das gegenüber dem konventionellen viermal teurere Saatgut leisten zu können. Doch das nutzte wenig. Denn zunächst ließ man die Landwirte über eine wesentliche Vertragsklausel im unklaren: Der Bauer durfte demnach das in seiner Gen-Ernte gewonnene Saatgut nicht für eine neuerliche Aussaat weiterverwenden.

Doch das von Monsanto den Baumwollsamen eingepflanzte Gen eines Bakteriums (Bacillus Thuringiensis) bewirkte das Gegenteil des versprochenen Effekts: Der Schädlingsbefall der Pflanzen erfolgte in einem Ausmaß, wie er beim Anbau des konventionellen Saatguts niemals vorgekommen war. Die Firma verweigerte die geforderten Ausgleichszahlungen, da der Konzern den Bauern von vornherein keinerlei Entschädigungsansprüche eingeräumt hatte. Aufgrund der Ernteausfälle und der aus den BT-Pflanzen erwirtschafteten, unverkäuflichen, weil minderwertigen Baumwolle konnten die Bauern ihre Bankkredite nicht zurückzahlen. Ebensowenig konnten sie sich den mit hohen Lizenzgebühren verbundenen Ankauf von neuem Saatgut leisten. Eine Situation, die etlichen Bauern ausweglos erschien.

Von einer Hilfeleistung für verarmte Farmer und verschuldete Staaten kann also bei weitem keine Rede sein. Doch warum geht die Rechnung der Gentechnik-Giganten dennoch auf? Dies erklärt sich erstens aus der Tatsache, daß konventionelles Saatgut in einigen Regionen kaum noch vorhanden ist. Zum zweiten wird unbeirrt weiter geworben - immerhin gibt es kaum unabhängige Forscher, in deren Interesse es läge, vor drohenden Gefahren zu warnen (drei Prozent der Biotechniker gelten als unabhängig). Zu guter Letzt wird die weltweite Verbreitung der Gen-Pflanzen von den USA sowie über das Vollzugs-Instrument der WTO (Welthandelsorganisation) vehement vorangetrieben.

Jüngster Coup der "agro-gentechnischen Revolution" ist die Entwicklung des treffend so benannten "Terminator-Gens". Diese neue Waffe zerstört die Keimfähigkeit der Pflanze. Der Bauer kann das aus den Hybridpflanzen gewonnene Saatgut im Folgejahr nicht mehr zur Aussaat verwenden und ist damit unwiderruflich gezwungen, neues Saatgut anzukaufen. Es überrascht nicht, daß auch diese Sterilisations-Technologie enorme Umwelt-Gefahren birgt. Das Terminator-Gen greift über Bestäubung auch auf andere Pflanzen über und unterbindet deren Keimfähigkeit. Bleibt nur zu hoffen, daß sich diese mutmaßliche Todesschwadron der Nahrungsmittelindustrie publikumswirksam als solche entlarvt, ehe auch die europäische Landwirtschaft unumkehrbar in ihre Fänge gerät. Denn die Bastion Europa wankt. Eine halbseidene Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel-Inhaltsstoffe und die vorläufige Beschränkung des Hybrid-Anbaus auf sogenannte "Versuchsflächen" ist alles, was die EU der Gen-Lobby entgegenzusetzen hat.

Dabei mangelt es nicht an Gelegenheiten, hinter die Fassade zu schauen. Zuletzt gelang es den Umweltaktivisten von Greenpeace, vor dem Verwaltungsgericht Köln den Anspruch auf die von Monsanto abgelehnte Akteneinsicht zum genmanipulierten Mais MON 863 durchzusetzen. Nach einem Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde zeigten Ratten, an die der Gen-Mais mit eingebautem Insektengift verfüttert worden war, deutliche Veränderungen des Blutbildes und Organschäden. Die vorjährige Entscheidung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA, das Maiskonstrukt für unbedenklich zu erklären, wähnt man damit als hinfällig. Doch weit gefehlt: Im EU-Ministerrat stimmten 14 EU-Staaten gegen die Zulassung - verfehlten aber die Mehrheit. So übernahm die EU-Kommission die Verantwortung und beschloß im August 2005, das Inverkehrbringen von MON 863 als Futtermittel zu genehmigen.

Dies wird wohl kein Einzelfall bleiben. Denn es wird zudem wohl einer seitens der USA, Kanadas und Argentiniens im Jahr 2003 bei der WTO eingebrachten Klage gegen das befristete Gentechnik-Moratorium der EU stattgegeben, und dann würde Europa zwangsverpflichtet, "überall sämtliche Genprodukte zum Import zuzulassen". Ein am 8. Februar 2006 veröffentlichter WTO-Bericht nimmt das für Anfang März erwartete Urteil diesbezüglich vorweg.


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