© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Tabubrüche und allergische Reaktionen
Tagung: Die Meinungsfreiheit und ihre Bedrohung / Historische und philosophische Aspekte / Warnung an junge Wissenschaftler
Julius Möllenbach

Kaum ein Thema könnte derzeit brisanter sein als die Meinungsfreiheit und ihre Bedrohung. "Ist Meinungsfreiheit möglich? Braucht eine Gesellschaft Tabus?" fragte eine hochkarätig besetzte Tagung in der Theodor-Heuß-Akademie in Gummersbach. Die Veranstaltung wurde gemeinsam organisiert von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung sowie dem Bund Freiheit der Wissenschaft, der sich vor allem in den siebziger Jahren große Verdienste um den Schutz der akademischen Freiheit erworben hatte. In bester liberaler Tradition wurden die vielfältigen Aspekte des Themas von historischer, philosophischer, politologischer, journalistischer und juristischer Warte eingekreist.

Einleitend führte der Berliner Anglist Ingo Pommerening mit anschaulichen Beispielen die historische Entwicklung der "political correctness" in den Vereinigten Staaten vor Augen. Daran schlossen die Philosophen Hartmut Kliemt (Duisburg) und Hermann Lübbe mit wichtigen Akzentsetzungen an. Kliemt bezog sich auf Thomas Hobbes, David Hume und John Stuart Mill, indem er die politische Bedeutung dessen unterstrich, was Menschen für richtig halten. Aus Kliemts Sicht, der sich deutlich gegen Einschränkungen der Diskussionsfreiheit auch heikler Themen wandte, kann Kants Ausspruch "Kritisiert, soviel ihr wollt, aber gehorcht (d. h. haltet euch an die Rechtsordnung)!" als Leitspruch dienen für eine Ordnung, die zwar Handlungen, nicht aber Gedanken einschränkt. Für diejenigen, die die Meinungsherrschaft ausüben wollen, sei es vorteilhaft, den Anschein breiter Unterstützung der Öffentlichkeit zu erwecken. Eben deshalb gebe es auch auf kleine Tabubrüche bereits so allergische Reaktionen. Praktisch wichtig war Kliemts Erinnerung an die Rollenpflichten der Professoren, die sich wegen ihrer gesicherten Stellung keine Weinerlichkeiten gestatten dürften, wenn sie für ihre Meinungsfreiheit eintreten.

Hermann Lübbe sprach von einer spezifisch modernen Tendenz der Correctness-Wächter. Das moderne Korrektheitswächtertum als Moralisierung des Wissens sei die Folge der zunehmenden Betroffenheit der Bürger von den Anwendungsfolgen sogenannten common sense-transzendenten, also wissenschaftlichen, Wissens. Lübbes wohl doch etwas zu optimistischer Vorschlag, den Korrektheitswächtern produktiv entgegenzuwirken lautete: mehr direkte Demokratie, mehr Bürgerrechte.

Kommunistische Sprachinszenierung

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Erhart Neubert ging dem Verhältnis von Sprache und Macht am Beispiel der DDR nach, in der Meinungsfreiheit nicht existierte. Leider sei es nicht gelungen, die Freiheitserfahrungen von 1989 in die politische Kultur des wiedervereinigten Deutschland angemessen einzubringen; statt dessen lebten zentrale Grundbegriffe der kommunistischen Sprachinszenierung von "Antifaschismus" bis "soziale Kälte" ungebrochen weiter.

Lorenz Jäger, Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wies mit einer Spitze gegen Lübbe zu Recht darauf hin, daß die eigentlichen PC-Debatten nicht über Tropenhölzer, sondern die multikulturelle Gesellschaft geführt werden. Hier herrschten die meisten Tabus. Unter Verweis auf Paul Gottfrieds Analyse des progressistischen Protestantismus erläuterte Jäger die Mechanismen der Tabuisierung von der "Schweigespirale" bis zur Verkitschung von Sachverhalten durch human interest-Geschichten (das "Schlagerschema" im Sinne Adornos). Er stellte als vorbildliche Tabubrecher den britischen Politiker J. Enoch Powell und den französischen Schriftsteller Jean Raspail ("Heerlager der Heiligen") vor. Unter Berufung auf den amerikanischen Journalisten H. L. Mencken wandte sich Jäger gegen die scheinbare Tugend des Optimismus und lieferte einen höchst scharfsinnigen Beitrag zur Lagebestimmung.

Am persönlichen Beispiel und mit vorbildlicher Klarheit und Geradlinigkeit widmete sich der Bayreuther Politologe Konrad Löw Tabus in der Wissenschaft, vor allem in der Zeitgeschichte. Tabus seien ein Herrschaftsinstrument, sie besäßen auch bei uns Wirklichkeit. Eindrucksvoll verdeutlichte Löw die Absurditäten in diesem Bereich, zu denen die skandalöse Makulierung eines Heftes des Deutschland-Archivs mit einem Artikel Löws seitens der Bundeszentrale für politische Bildung zählt (die JF berichtete). Besonders erschreckend war hier die praktizierte Dialogverweigerung der verantwortlichen Diskurswächter, denen es nur vordergründig um die Sache, tatsächlich wohl um die Etablierung einer offiziösen Geschichtssicht ging und geht. Wahrheit und Wahrhaftigkeit bleiben hier auf der Strecke. Gerade deshalb ist Löws eindringliche Warnung an junge Wissenschaftler, sich tunlichst heikler Dissertationsthemen zu enthalten, ein betrübliches Indiz für den Zustand der geistigen und akademischen Kultur im Deutschland der Gegenwart.

Das Abschlußreferat schließlich hielt der Bochumer Jurist Stefan Huster, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit darstellte. Meinungsfreiheit sei demnach unmittelbarster Ausdruck der Persönlichkeit und unentbehrlich für den "Kampf der Meinungen", von dem die Demokratie lebe.

Kaum Vertrauen in die Selbstregulierungskraft

Huster ging auf die vielen umstrittenen Interpretations- und Abwägungsfragen nüchtern und klar ein, um sodann die bedenkliche Entwicklung hin zu einem Gesinnungsrecht zu beleuchten. Bedenklich sei auch, daß in der Öffentlichkeit eine verbreitete Skepsis herrsche und es kaum Vertrauen in die Selbstregulierungskraft der öffentlichen Diskussion gebe. In diesem Zusammenhang nannte Huster die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 2005 zur Klage der JUNGE FREIHEIT gegen die Aufnahme in die Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich "sehr sinnvoll und unbedingt notwendig".

So bliebt die Tagung in Gummersbach bei aller Grundsätzlichkeit in der Verteidigung der Meinungsfreiheit immer auch konkret - denn nicht nur "im Prinzip", wie bei Radio Eriwan, sondern konkret hier und jetzt braucht die Meinungsfreiheit den Mut der einzelnen Bürger, die sich auch dann für sie einsetzen, wenn dies mit vertretbaren Nachteilen verbunden ist.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen