© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Jedes Bild ist ein Jagdzauber
Was sich malen und nicht malen läßt: Martin Mosebachs Essays zur Bildenden Kunst
Günter Zehm

Alle sprechen von Bilderverboten, Martin Mosebach indessen spricht von Bildergeboten. Kürzlich ist sein farbenprächtiger, bilderträchtiger Roman "Das Beben" unter die Leute gekommen, da schickt er schon ein nicht minder prächtiges Büchlein mit kunstkritischen Essays hinterher, und zwar unter dem in der gegenwärtigen Situation geradezu provozierendem Titel "Du sollst dir ein Bild machen". Der Mann will es wissen.

Schon in seinem Essayband "Die Haeresie der Formlosigkeit" (JF 50/02; 13/03) hatte der überzeugte Katholik klipp und klar verkündet: Das biblische Postulat "Du sollst dir kein Bildnis machen", in der Hierarchie der zehn Gebote bekanntlich ganz oben rangierend, ist seit Erscheinen Christi obsolet geworden. Denn seitdem wissen wir, wie Gott aussieht, und spätestens seitdem wissen wir auch, daß seine lebendige Schöpfung abbildbar, "imaginierbar" ist. Das menschliche Auge kann Göttliches im Bild erkennen, die Hand der Künstlers kann es "bannen", und man darf sich daran freuen.

Der Spruch ist kühn, vielleicht allzu kühn, riecht nach Ketzerei. Gerade der "Bann", den der bildende Künstler (angeblich oder wirklich) ausübt, war ja für die Priester aller Zeiten und Religionen stets das allergravierendste Argument gegen die Bildermacherei. Das Bild wurde von Anfang an ernster genommen als das Wort. Es war leibhaftige Verdoppelung der Welt und der in ihr wirkenden schöpferischen Kräfte, es offenbarte unheimliche magische Fähigkeiten, die ihm "eigentlich" nicht zukamen und mit denen seine Verfertiger illegale Macht über Götter und Dämonen gewannen.

Die ersten Bilder überhaupt, wie sie uns in der Höhlenmalerei der Cromagnon-Menschen aus der Zeit vor 30.000 Jahren entgegentreten, waren tatsächlich purer Jagdzauber. Man warf mit Speeren auf sie, bevor man diese anschließend gegen reale Hirsche und Wildpferde richtete. Bilder stifteten Jägerglück und Fruchtbarkeit und schreckten Feinde ab. Auf Totempfählen übereinandergestapelt, bezeugten sie die vornehme Genealogie des Stammes, seine Verwandtschaft mit mächtigen Tier-, Fluß- und Windgeschlechtern.

Später im alten Griechenland verloren dann die Götter ihre Adler-, Schakal- oder Ibisköpfe, posierten in reiner Menschengestalt, während um sie herum ganze hyperrealistisch gemalte Landschaften aufwuchsen, so ingeniös farbvielfältig, daß angeblich die schlauesten Tiere darauf hereinfielen und die gemalten Weinbeeren aufzupicken versuchten. Es schien, als habe die Kunst die Religion regelrecht ersetzt.

Byzantinische Ikonoklasten, islamische Bilderstürmer oder lutherische Wort-Apostel konnten den Bilderschwall des Mainstream immer nur phasenweise bzw. gebietsweise aufhalten. Die sich explosiv ausweitenden technischen Möglichkeiten der Bildproduktion wie des Bildempfangs in der Neuzeit taten ein übriges. Heute sind faktisch sämtliche menschlichen Lebensbereiche einschließlich der religiösen und politischen Sphäre mit Bildern bis oben hin vollgestellt, manche sagen: zugemüllt, und die Bildergläubigkeit der Völker kennt faktisch keine Grenzen mehr. Nur was im Bild festgehalten und als Bild massenhaft verbreitet wird, ist nach mehrheitlicher Auffassung wirklich wahr.

Martin Mosebach zeigt sich von alledem wenig beeindruckt. Er macht eine Gegenrechnung auf, die die gegenwärtige Moderne als genuin bilderfeindlich und ihren verbissenen Kampf gegen das Bild als höchst erfolgreich und letztlich verhängnisvoll hinstellt. Die Losungsworte dieser Moderne heißen "Abstraktion", "Installation", "Simulation". An die Stelle des wirklichen, voll ausgereiften Bildes tritt die bloße Geste, der marktschreierische Lobpreis von "des Kaisers neuen Kleidern", die "Ehrlichkeit der Aussage", die bei Lichte betrachtet nichts weiter ist als seelische Leere und schöpferische Ohnmacht.

Parallel dazu konstatiert Mosebach eine geradezu ikonoklastische Unterdrückungswut mitten im modernen Abendland, für die er viele Beispiele bringt. Die Art und Weise etwa, wie von den Medien und den Akademien während der fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts im "Westen" die abstrakte Malerei und Plastik durchgedrückt wurden, scheint sich in ihrer Rabiatheit kaum von der Rabiatheit unterschieden zu haben, mit der gleichzeitig im kommunistischen Osten der "Sozialistische Realismus" verordnet wurde. So eindrucksvoll las man dergleichen noch nie, wie überhaupt zu konstatieren wäre, daß Mosebachs Buch eine Fülle feiner und geistreicher kunstkritischer Beobachtungen bietet, die den Leser erquicken und weiterbringen.

Trotzdem wirkt es ein wenig kurios, wenn man als leuchtende Beispiele für tapfer-begabte Widerständigkeit im Namen des Bildes ausgerechnet stalinistische Rabauken oder Anpasser à la Alfred Hrdlicka bzw. Werner Tübke vorgestellt bekommt oder wenn plötzlich Verfertiger amerikanischer Pin-up-girl-Serien als Meister delikatester Farbnuancierung und als eine Art Boucher oder Courbet erscheinen. Außerdem wäre zu konstatieren, daß die Bildende Kunst des Abendlands längst dabei ist, aus der Abstraktion vollständig zurückzurudern und sich dem allgemeinen pictorial turn anzuschließen. Bald wird die abstrakte Malerei der "klassischen europäischen Moderne" nur noch Erinnerung sein.

Der Band "Du sollst dir ein Bild machen", obwohl sichtbar als avantgardistischer Erkundungstrupp für bisher unbetretenes, gar vermintes Gelände aufgezäumt, liefert bereits Nachhutgefechte. Das bedeutet freilich keineswegs, daß sich geborene Avantgardisten und Wegeleger nunmehr als islamistische Bilderstürmer aufführen müssen, nur um der schlechten Aufdringlichkeit des pictorial turn Paroli bieten zu können. Nicht einmal im engeren religiösen Sinne gilt das.

"Du sollst dir kein Bildnis machen" - das Gebot hat nach wie vor Bestand, denn Gott, der allumfassende Schöpfer und Erhalter, kann tatsächlich nicht und niemals ins adäquate Bild gefaßt werden. Alles bleibt hier Annäherung und Ahnung, getragen von Respekt und Demut. Bildner, die mehr zu bieten vorgeben, machen sich (vielleicht auch) schuldig, aber mit Sicherheit machen sie sich letztlich unendlich lächerlich. Und nichts tötet bekanntlich sicherer als die Lächerlichkeit.

Was für die religiöse Sphäre im engeren Sinne gilt, gilt auch für die Bilderflut insgesamt. Die Bilder müssen nicht abgeschafft, sondern sie müssen humanisiert werden. Wir müssen sie sorgfältiger und kritischer herstellen, und wir müssen sie sorgfältiger und kritischer betrachten. Günter Zehm

Das Bild wurde von Anfang an ernster ge-nommen als das Wort. Mit ihm gewannen seine Verfer-tiger illegale Macht über Götter und Dämonen.

Gott kann nicht und niemals ins adäquate Bild gefaßt werden. Alles bleibt hier Annäherung und Ah-nung, getragen von Respekt und Demut.

Wandgemälde aus dem Grab des Nebarunun, Theben (ca. 1350 v. Chr).: Leibhaftige Verdoppelung der Welt und der in ihr wirkenden Kräfte Foto: Picture-alliance / KPA / HIP

Martin Mosebach: Du sollst dir ein Bild machen. Über alte und neue Meister. Dietrich zu Klampen Verlag, Springe 2005, gebunden, 232 Seiten, 19,80 Euro; ders.: Das Beben. Roman. Hanser Verlag, München 2005, gebunden, 412 Seiten, 24,90 Euro


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