© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Hasspredigt auf deutsch
Theater: "Heldenplatz"
Werner Veith

Man stelle sich vor, ein arabischer Prediger verkündet: "Die Österreicher als Masse sind heute ein brutales und dummes Volk ... sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige, die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien, steiermärkische Trottel, salzburgische Idioten. (...) In Wien müßte ein Sehender ja tagtäglich rund um die Uhr Amok laufen. (...) In jedem Wiener steckt ein Massenmörder. Aber was diese Leute aus Österreich gemacht haben, ist unbeschreiblich, eine geist- und kulturlose Kloake, die in ganz Europa ihren penetranten Gestank verbreitet. Der Hochgebirgsstumpfsinn wird gepredigt heute ... ein unerträgliches Banausentum unterrichtet nurmehr noch den alpenländischen Schwachsinn, nichts sonst." Und so weiter und so fort.

Wer feuert solche Schimpfkanonaden auf das schöne Alpenland? Es ist Robert Schuster in "Heldenplatz" von Thomas Bernhard (1931-1989; JF 7/06), der eine Beschimpfungsorgie zum hundertsten Jahrestag des Wiener Burgtheaters schrieb. Abwesende Hauptperson im Theaterstück "Heldenplatz" ist der jüdische Professor Josef Schuster, der sich 1988, am 50. Jahrestag der Hitlerrede am Wiener Heldenplatz, das Leben nimmt. Nahe Verwandte treffen sich in der Wohnung des Verstorbenen und schimpfen und wüten gegen die Welt im allgemeinen und gegen Österreich im besonderen.

Doch bevor der Leichenschmaus beginnt, bügelt und putzt das Hauspersonal. Frau Zittel zeigt dem Hausmädchen Herta, wie die Hemden zu bügeln sind: "Der Verstorbene war ein Präzisionsfanatiker" - und schon wirbelt wieder ein Hemd durch die Luft, weil es nicht professionell gefaltet wurde. Fünfzig weiße Hemden, fünfzig Spazierstöcke und dreißig Paar schwarze Schuhe bevölkern die von Günter Hellweg ausgestattete Bühne in Nürnberg, bevor sie in Umzugskartons verschwinden. Erst dann gibt es Suppe für die Verwandten des verstorbenen Professors Schuster, die sich in ihrer Gehässigkeit gegenseitig übertrumpfen wollen.

Regisseur Frank Behnke brachte von der 165seitigen Buchfassung etwa 80 Seiten auf die Bühne. Er wählte jene Passagen aus, die auch für Nicht-Österreicher verständlich sind, und ließ sich nicht dazu verführen, Bernhards politische Parolen auf Nürnberg zu übertragen. Statt dessen blieb Behnke stets dem Originaltext treu, obgleich er auf die Hysterie in der Familie abzielte: "Meine zwei studierten Schauertöchter", sagte Josef Schuster laut Frau Zittel, "sind meine Totengräber, und mein Sohn Lukas ist eine Niete ... ein abstoßendes Ungeheuer".

Foto: Anna (A. Schebesch), Olga (T. Kübler): Gehässig

Die nächsten Aufführungen im Staatstheater Nürnberg, Richard-Wagner-Platz 2-10, finden statt am 6., 19. und 22. März sowie am 1., 8. und 30. April. Kartentelefon: 018 01 / 34 42 76.

Literatur: Thomas Bernhard, Heldenplatz, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1988; zur politischen Wirkung: Maria Fialilk: Der konservative Anarchist. Thomas Bernhard und das Staats-Theater, Löcker Verlag, 1991


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