© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/06 24. Februar 2006

Auf der Suche nach der verlorenen Ehre
Jan-Andres Schulze stellt am Beispiel des Irak-Krieges 2003 die Frage nach dem "gerechten Krieg"
Günter Maschke

Das Beklemmende an der Gewohnheit der Macht ist, daß sie die Macht der Gewohnheit erzeugt. Der zunächst achselzuckenden folgt rasch die willfährige Zustimmung zum Faktischen als einer Norm. Die Kritik zahlreicher Völkerrechtler an den Versuchen der Vereinigten Staaten, unter dem Deckmantel der Forderung nach einer "Weltdemokratie" ökonomischen Raub, geostrategische Kontrolle und Strafkrieg zu verbinden und so dem Erdball den Ausnahmezustand aufzuzwingen, ist mittlerweile verebbt. Der Rechtsbrecher posiert schon wieder als ein Freiheit und Sicherheit schützender Rechtspfleger, über dessen Fehltritte sich klügelndes Schweigen ausbreitet.

Dem Opportunismus der Professoren folgt, als getreuer Schatten, der Opportunismus der Doktoranden. Zuweilen aber geschehen Überraschungen, etwa Björn Clemens' "Der Begriff des Angriffskrieges und die Funktion seiner Strafbarkeit" (Duncker&Humblot 2005, JF 31/32-05) oder die inzwischen gleichfalls als Buch vorliegende Schrift Jan-Andres Schulzes, eine Münchner Dissertation von 2004.

Irritierend ist freilich, daß Schulze vom Krieg 2003 ausgeht und nicht vom Krieg 1991, der weitaus mehr Opfer forderte. Damals starben etwa 150.000 Irakis, überwiegend Zivilisten, und aufgrund des Embargos verhungerten mehr als 300.000 Kinder. Vor allem aber wurde der Krieg von 1991, im Gegensatz zu dem von 2003, in der Öffentlichkeit beinahe ohne jeden Widerspruch als "gerechter Krieg" bezeichnet, und auch deshalb zögerte die Bundesrepublik nicht, dieses entsetzliche Massaker an einem Volke, von dem sie nie bedroht worden war, mit 13 Milliarden Mark aus der Steuerkasse zu subventionieren.

Die schändliche Tat der Vereinigten Staaten und ihrer Vasallen wurde, wie der Tag der deutschen Schande, vom Sicherheitsrat erleichtert: Er mandatierte den Krieg von 1991, und erst dadurch wurde er für viele, auch für manchen Zweifler, zu einem "gerechten Krieg". Dies obgleich er etwa hundertmal so viele irakische Opfer forderte, wie es zuvor kuwaitische gegeben hatte, so daß eine zentrale Bedingung des "gerechten Krieges" verletzt wurde: die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Daß jedoch gemäß der UN-Charta der Sicherheitsrat gar keinen "gerechten Krieg" beschließen konnte, sondern nur ein "bellum legale", war - bedenkt man die Ohnmacht juristischer Feinheiten gegenüber der Macht von Ideologie, Propaganda und systematischer Lüge - belanglos. Das Fazit mochten 1991 nur wenige ziehen: daß die Legalität zur Gangsterparole verkommen und daß sie töten kann.

Trotz seines Titels verdeutlicht Schulze zunächst, daß es keine "Wiederkehr" des gerechten Krieges gegeben hat, und spricht, treffender, von dessen "Mutation". Der gerechte Krieg des christlichen Mittelalters, der seine klassische Ausprägung bei Thomas von Aquin findet, benötigte eine legitime Autorität, einen gerechten Grund und eine rechte Absicht (recta intentio). Verfügen die Vereinten Nationen, die Nato oder der Präsident der USA über die potestas spiritualis in einer religiös, das heißt ideologisch einigen Welt? Lag ein gerechter Grund vor, das bedeutet hier: Waren die USA von irakischen Massenvernichtungswaffen bedroht? Geschah die Intervention ohne räuberische und herrschsüchtige Absichten und soweit wie möglich ohne Grausamkeit?

Man sieht, daß die die Gewaltanwendung erschwerenden Bedingungen des "gerechten Krieges" hier nicht erfüllt wurden, sondern die Gewalt gegen den nunmehr satanisierten Feind schrankenlos sowie ein christlicher Begriff von Öl- und Rüstungsmilliardären, von fanatischen Sektierern und von die "Menschheit" - und damit sich selbst - verehrenden Humanitaristen usurpiert wurde. Ungeachtet der Wandlungen und Deutbarkeiten des Begriffs - bis hin zum "Heiligen Krieg" der Kreuzzüge - drängt sich ein Satz Donoso Cortés auf: "Von einem Worte, das die Kirche ausspricht, erwarte ich die Errettung, doch wenn ein anderer dieses Wort ausspricht, erwarte ich den Tod."

Schulze versäumt es freilich, in seinem kenntnisreichen Rückblick auf die christliche Tradition Carl Schmitts, den sicher bedeutendsten Verfechter der These von der "Wiederkehr", zu kritisieren. Schmitt hat die wesenhafte Differenz des "gerechten Krieges" zum modernen, diskriminierenden Krieg verdunkelt, indem er sie miteinander identifizierte: Er übernahm zwar nicht die Bewertung, jedoch die Sprachregelung der Apologeten des diskriminierenden Krieges, die diesen als "gerecht" bezeichneten. So wurde für Schmitt und seine Anhänger der "gerechte Krieg" zu einem besonders unheilvollen Unrecht. Doch die fälschende Inbetriebnahme eines Begriffes macht die damit ursprünglich gemeinte Sache nicht zuschanden.

Gerade weil Schulze aber die heutigen, unter der falschen Flagge des "gerechten Krieges" stattfindenden diskriminierenden Kriege als Betrug durchschaut, kommt es am Ende bei ihm doch noch zu einer Art "Wiederkehr" des "gerechten Krieges". Er möchte bestimmte Elemente des ursprünglichen "gerechten Krieges" wieder in Kraft setzen, der schon im Mittelalter eher auf dem geduldigen moraltheologischen Papier denn auf den Schlachtfeldern stattfand.

Schulze empfiehlt die "Rückkehr des Ethos des gerechten Krieges", mittels dessen die Gewaltanwendung begrenzt werden soll, und weist dabei auf die ritterlichen Tugenden hin, ebenso auf die Ehre als "normatives Moment soldatischen Handelns". Doch galten diese Tugenden selbst zu ihren Blütezeiten nur unter Rittern, also unter Gleichen, während die Ehre angesichts der modernen Vernichtungstechnik, des ideologischen Hasses und der entwürdigenden Tatsachen der Massendemokratie ein rares Gut geworden ist.

Sicherlich hat Schulze recht, wenn er schreibt, daß "nicht die Theorie des ('echten', G.M.) gerechten Krieges den Weltfrieden bedroht, sondern die Wiederkehr derjenigen Determinanten von Krieg und Kriegführung, die erst eine Theorie des gerechten Krieges zum Ausgleich nötig machten." Doch der ursprüngliche gerechte Krieg war gedacht als gottesebenbildliche Heilsfürsorge und der durch ihn zu erreichende irdische Frieden nur als Bedingung zum endgültigen Frieden in Gott. Da heute dieses religiöse Fundament für die meisten nicht mehr besteht und wohl auch durch keine multireligiös dekorierte Eine-Welt-Ideologie zu ersetzen ist, müssen wir bescheidener sein als Schulze und uns mit der Einsicht begnügen, daß man nur mit einem anerkannten Feinde Frieden schließen kann und daß der erste Schritt zum Frieden die Nicht-Diskriminierung von Feind und Krieg ist.

Auch Schulze neigt zu solchen Schlüssen, aber er wirft sie mit seinen Wunschvorstellungen von einem echten "gerechten Kriege" in eins; der gehegte Krieg des klassischen europäischen Völkerrechts, der die Schuld- und Wahrheitsfrage umging, verschmilzt bei ihm mit dem "gerechten Krieg" des christlichen Mittelalters, der trotz seiner Bemühung um Milde und Brüderlichkeit eine Strafaktion gegen einen Schuldigen war. Schulzes Buch - allzu viele Lesefrüchte auf zu engem Raum ausbreitend, immer wieder abschweifend und drauflos assoziierend - ist aber trotz allem in den wichtigen Punkten klarsichtig und mutig und scheut sich nicht, das Offenkundige auszusprechen, was bekanntlich in einer Welt, in der sich die Lüge einrichtet, selten geschieht und schwer zu machen ist.

Foto: Britische Soldaten der "Irish Guards" beten am St. Patrick's Day (Kuwait, 17. März 2003): Legalität zur Gangsterparole verkommen

Jan-Andres Schulze: Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges. Duncker & Humblot, Berlin 2005, 210 Seiten, kartoniert, 72 Euro


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