© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Reglementierte Erinnerung
Geschichtspolitik: Die Opferverbände der kommunistischen Diktatur in Deutschland fühlen sich bei der Ausarbeitung eines neuen Gedenkkonzeptes übergangen
Ekkehard Schultz

Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der Dachverband von 30 Vereinigungen der Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland, hat die ihrer Ansicht nach unzureichende Einbeziehung der Verbände bei der Erarbeitung eines neuen Konzeptes für das Gedenken an die Gewaltherrschaft kritisiert. In einem Brief hat der am vergangenen Wochenende in seinem Amt bestätigte UOKG-Vorsitzende Horst Schüler sein "tiefes Befremden" darüber zum Ausdruck gebracht, daß bei deren Erarbeitung "unsere Meinung keine Stimme findet".

Zu Beginn des vergangenen Jahres hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und die parteilose Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Christina Weiss, den Beschluß gefaßt, eine Expertenkommission zu bilden, die eine Gesamtkonzeption für einen Geschichtsverbund "Aufarbeitung der SED-Diktatur" erstellen soll. Diesem Verbund soll bei der Koordination der zukünftigen Erinnerungsarbeit an die kommunistische Diktatur eine zentrale Rolle zukommen. Zu diesem Zweck sollte die Kommission den gegenwärtigen Stand der öffentlichen Aufarbeitung der DDR-Geschichte bilanzieren und eine langfristige Perspektive "als Teil der nationalen Erinnerungslandschaft" im europäischen Kontext entwickeln.

Die Leitung der Kommission übertrug Weiss Martin Sabrow. Sabrow ist seit mehreren Jahren als Projektleiter am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) tätig und beschäftigt sich mit Themen der DDR-Geschichtsforschung. Im Januar wurde er zum Geschäftsführenden Direktor des ZZF gewählt. Der ehrenamtlich arbeitenden Expertenkommission gehören unter anderem Rainer Eckert, Monika Flacke, Peter Maser, Freya Klier, Tina Krone, und Ulrike Poppe an.

"Knebelung durch Totalitarismustheorie"

Die Mitglieder sollten ein möglichst breites Spektrum aus Wissenschaft, Publizistik, Gedenkstätten und Museen repräsentieren. Doch die Opfervertreter fühlen sich weitestgehend von den Fachhistorikern übergangen, welche in der Kommission seit ihrer Gründung dominieren. Schüler kritisiert daher, daß gerade die Mitglieder der Opferverbände, welche "die SED-Diktatur und die mit ihr eng verbundene Willkürherrschaft des sowjetischen Geheimdienstes in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR ... so bitter erfahren" haben, wie "niemand anders", nicht in das Gedenkkonzept einbezogen worden seien. "Enttäuscht" zeigt sich Schüler vor allem auch deswegen, "weil wir seit Jahren eng mit den Gedenkstätten und -orten zusammenarbeiten und mit den Problemen der Erinnerungsarbeit vertraut sind."

Gleichzeitig mehren sich die Versuche an einigen Erinnerungsorten, die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in ihrer Arbeit zu reglementieren. So gab es im vergangenen Jahr gleich zwei Veranstaltungen zur Erinnerung an den sechzigsten Jahrestag der Einrichtung des sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen, in dem von 1945 bis 1950 von rund 60.000 Gefangenen über 12.000 ihr Leben verloren. Opferverband und Gedenkstättenleitung hatten sich nicht auf eine gemeinsame Veranstaltung einigen können. Zudem hat der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Günter Morsch, erst vor wenigen Wochen vor der vermeintlich drohenden "Dominanz" einer "antikommunistischen Geschichtsschreibung" und der "Knebelung wissenschaftlicher Freiheit durch die Totalitarismustheorie" gewarnt. Bereits Ende 2004 waren von Opferverbänden Besorgnisse über die zukünftige Ausrichtung ihrer Arbeit laut geworden, als unter anderem die Behörde für die Stasi-Unterlagen unter die Ägide der Kulturbeauftragten der Bundesregierung gestellt wurde.


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