© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/06 03. März 2006

Jugendbewegte Kaderreserve
Jugendoffiziere und Vorzeigefiguren: Vor sechzig Jahren gründeten sowjetische Besatzungsmacht und deutsche Kommunisten die FDJ
Manfred Müller

Deutsche Jugend! Alle Hoffnungen auf einen neuen Auferstehungsmorgen (...) klammern sich an Dich. Unser Volk ist einer Katastrophe entronnen, es ist nicht untergegangen, es hat überlebt. (...) Ihr, die Ihr heimkehrt von den Schlachtfeldern dieses Krieges, die Ihr bereit wart, für Euer Volk zu sterben, wollt Ihr nun weniger bereit sein, für Euer Volk zu leben? (...) Der Traum freilich vom Dritten Reich ist ausgeträumt. Dieses Reich war nicht einen einzigen Tropfen Eures jungen Blutes wert. (...) Das Reich, das viele von Euch schon ahnen, ist auf Euch gerichtet." So pathetisch umschreib der katholische Gefängnispfarrer Peter Buchholz im November 1945 in der ersten Nummer der SBZ-Zeitschrift Neues Leben die Zukunftshoffnungen vieler deutscher Menschen, Hoffnungen vor allem von Jugendlichen, die Krieg, Flucht, Vertreibung, Zusammenbruch des Reiches überstanden hatten und sich ein besseres Deutschland wünschten. Auf ihren Idealismus setzten die sowjetische Besatzungsmacht und die KPD (wie später die SED), als sie im Zeichen des "Antifaschismus" einen einheitlichen, überparteilichen großen Jugendverband schaffen wollten.

Auch Bürgerliche sollten in der FDJ eingespannt werden

Als Pfarrer Buchholz diese Worte schrieb, existierten in der SBZ bereits örtlich, regional und überregional die "antifaschistischen Jugendkomitees", die zu gründen Sowjetmarschall Georgij Schukow am 31. Juli 1945 befohlen hatte. Für sie hatte sich der Name "Jugendausschüsse" eingebürgert. Erwünscht war, daß hier nicht nur junge Kommunisten und Sozialdemokraten zusammenarbeiteten, sondern daß auch Bürgerliche mitmachten, insbesondere Pfarrer und junge Christen. Gerne lud man auch ehemalige Pfadfinder und Bündische zur Mitarbeit ein. Erich Honecker, von Ulbricht als Jugendsekretär der KPD eingesetzt und für den Vorsitz des überparteilichen Jugendverbandes vorgesehen, hatte bereits am 7. Juli 1945 in einem Zeitungsartikel für eine "freie deutsche Jugendbewegung" plädiert. Er erinnerte an das Zusammenwirken einer - allerdings sehr kleinen - Zahl von Katholiken und Jungkommunisten im rheinischen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, wie es 1937 der Rossaint-Prozeß gezeigt hatte. Er feierte den Widerstand der "Weißen Rose" und anderer Widerstandsgruppen und beschwor den "Geist, der die Seelen dieser katholischen, demokratischen, sozialdemokratischen und jungkommunistischen Kämpfer beherrschte" als den "Geist des Zusammenschlusses aller fortschrittlichen Kräfte". So schlußfolgerte er: "Eine einige und freie deutsche Jugendbewegung, das ist Wunsch und Ziel aller, denen die Zukunft unseres Volkes am Herzen liegt."

Eine "Freie Deutsche Jugend" hatte es schon während des Krieges im britischen Exil gegeben, es war ein Zusammenschluß junger Menschen vorwiegend jüdischer Abstammung mit starkem Einfluß einer kommunistischen Minderheit. In ihren besten Zeiten zählte diese FDJ etwa 600 Mitglieder. Aus dieser Exilgruppe kamen nun Führungskräfte für die zu schaffende Massenorganisation auf deutschem Boden. Eine besonders brauchbare Vorzeigefigur dieser Exil-FDJ war Horst Brasch, Vorsitzender seit Ostern 1942. Brasch, Jahrgang 1922, war jüdischer Abstammung, katholisch getauft und kam aus einer Berliner Kaufmannsfamilie. Seine Eltern hatten ihn nach Ettal ins Klosterinternat geschickt. Dort schloß sich der junge Gymnasiast dem Bund Neudeutschland (ND) an, der jugendbewegt-bündisch, betont national und betont katholisch war. 1939 emigrierte Brasch nach England, wo er als Werkzeugmacher in der britischen Rüstungsindustrie arbeitete (nach zwischenzeitlicher Internierung in Kanada). 1944 trat er der KPD bei, was den Verlust des katholischen Glaubens anzeigte.

Die von den Sowjets befohlenen Jugendausschüsse bereiteten 1945/46 systematisch die Gründung des Jugendverbandes vor, indem sie ein "Aktionsprogramm fröhliches Jugendleben" (Sport, Spiel, Tanz, Diskussionen und ähnliches) entwickelten und die Parole ausgaben: "Das neue Leben wird schöner sein!" Sie organisierten auch Briefe und Telegramme an die sowjetische Militäradministration (SMAD), in denen die Gründung des Jugendverbandes gefordert wurde.

Mit seinem Befehl vom 5. März 1946 kam Schukow den, wie er schrieb, "Wünschen und Forderungen der deutschen Jugend entgegen". Die FDJ wurde "zu freier, demokratischer Betätigung" eingerichtet. Heinz Lippmann, enger Mitarbeiter Honeckers, erinnert sich später: "Die Gründungsveranstaltungen der FDJ wurden in den Ländern unter strenger Kontrolle der SMAD-Jugendoffiziere vorbereitet, die sich auf Direktiven der SMAD in Berlin-Karlshorst stützten. Die Reden der künftigen Landesvorsitzenden der FDJ mußten wörtlich ausgearbeitet und den Jugendoffizieren zur Genehmigung vorgelegt werden." Honecker telefonierte täglich mit den Jugendoffizieren und fuhr einmal in der Woche nach Karlshorst.

FDJ wurde zunehmend von der SED instrumentalisiert

Der zentrale Jugendausschuß in Berlin verwandelte sich bei Gründung der FDJ über Nacht in den provisorischen Zentralrat der FDJ, Vorsitz: Honecker. Sekretär des Zentraltrats wurde Horst Brasch. Noch mehr als Brach wäre als bloße Vorzeigefigur Eberhard Koebel geeignet gewesen, in der deutschen Jugendbewegung unter dem Namen "Tusk" bekannt. Koebel hatte am 1. November 1929 die "Deutsche Jungenschaft" gegründet, die unter dem Kürzel "d.j.1.11." Furore machte. Aber "Tusk" hatte in den langen Jahren des Exils Jugendlichkeit und Ausstrahlung verloren. Als Honecker bei Brasch anfragte, ob Koebel in der FDJ einen führenden Posten erhalten sollte, warnte Brasch: "Was Tusk betrifft, so überlasse ich Euch das. Meine Auffassung ist, daß er geistig nicht ganz beisammen ist und auch für die Jugendarbeit zu alt. Sollte aber sein Name in der Liste der Mitglieder der Reichsleitung Einfluß auf manche Kreise haben, dann soll man ihm einen Posten dort geben, auf dem er wenig zu sagen hat und kein Unheil anrichten kann. Jedenfalls wird er denken, daß man ihn übergeht, wenn man ihn nicht zum zweiten Reichsjugendführer macht, als den er sich ja berufen fühlt."

Brasch machte schließlich in der SBZ und dann in der DDR Karriere und stieg bis zum Mitglied des Zentralkomitees der SED auf. Eine große Enttäuschung wurde es für ihn, daß sein Sohn, der Schriftsteller Thomas Brasch, sich zum DDR-Dissidenten entwickelte. Aufbau und Ausrichtung der Massenorganisation FDJ wurden in den folgenden Jahren ganz den Erfordernissen der sowjetischen Deutschlandpolitik angepaßt. Das versprochene "fröhliche, freie Jugendleben" war zwar hier und da in der FDJ erfahrbar, wurde aber immer stärker von der SED instrumentalisiert.

Foto: FDJ-Angehörige blicken vom Brandenburger Tor nach Westen: Unter strenger Kontrolle der Sowjets


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