© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Reiner Kunze
Sprache ist Freiheit
von Thorsten Hinz

Der Schriftsteller Reiner Kunze gehörte von Anfang an zu den profiliertesten Kritikern der Rechtschreibreform. In der Ausgabe der Deutschen Sprachwelt, die zur Leipziger Buchmesse erscheint, hat er einen Protest gegen die Rechtschreibreform formuliert, in der er die ihm sonst eigene Höflichkeit fallenläßt. Die Änderungen in der Orthographie vergleicht er mit "Ratten, die an die intuitive, vom Regelwissen unabhängige Sprachkompetenz gehen". Die Forderung der Politik an die Presse, jetzt "Verantwortung" zu zeigen und sich den von ihr verordneten Regeln zu unterwerfen, ist unvereinbar mit seinen Vorstellungen von Bürgerfreiheit und kulturellem Bewußtsein. Die polemische Schärfe des Artikels überrascht nur auf den ersten Blick. Das gesamte Werk Reiner Kunzes handelt schließlich davon, wie die Unterdrückung, Manipulation und Verkrüppelung des Menschen bei der Verfälschung und Verluderung der Sprache anfängt. "Wort ist Währung / Je wahrer, / desto härter", heißt es in seinem Gedichtband "Ein Tag auf dieser Erde" (1998). Diese in tausend Jahren gehärtete Währung steht vor dem Ausverkauf, wenn sie auf den Wissensstand ihrer schlichtesten Benutzer herabgedrückt wird. Das Reflexionsniveau der demokratischen Mehrheit wird in der Folge noch anspruchsloser, kulturelle Wurzeln werden gekappt und die Menschen in noch stärkerem Maße zu Heloten der Ökonomisierung.

Reiner Kunze wurde 1933 in Oelznitz im Erzgebirge als Sohn eines Bergmanns geboren. Ursprünglich ein überzeugter Sozialist und SED-Mitglied, entwickelte er sich zum entschiedenen Regimegegner. In einem frühen Gedicht, "Dialektik", heißt es: "Unwissende damit ihr / unwissend bleibt / werden wir euch / schulen". Kunze, der mit einer Tschechin verheiratet ist, trat nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 aus der SED aus. Danach setzte seine umfassende Bespitzelung durch die Staatssicherheit ein, die er in dem Buch "Deckname Lyrik" dokumentiert hat. Der Prosaband "Die Wunderbaren Jahre" (1976), eine perfekt strukturierte Sammlung scharfgestochener Miniaturen, schildert den Zugriff des SED-Staates auf die Kinder und Jugendlichen. Er konnte nur im Westen erscheinen. Die Pressionen gegen Kunze erreichten danach ein Ausmaß, daß er sich zur Ausreise gezwungen sah. Heinrich Böll sagte in seiner Laudatio auf den Büchner-Preisträger 1977, Kunze gelinge es, in einem knappen Satz den "Wimpernschlag des Terrors" zu erfassen. Das gilt bis heute. In dem Gedicht "Sensible Wege", das Kunze 1966 schrieb, unmittelbar nachdem die Kulturpolitik der DDR eine scharfe neostalinistische Wendung genommen hatte, heißt es: "Sensibel / ist die erde über den quellen: kein baum darf / gefällt, keine wurzel / gerodet werden / Die Quellen könnten / versiegen / Wie viele bäume werden / gefällt, wie viele wurzeln / gerodet/ in uns." Es ist beklemmend, wie nahe einem diese Verse heute wieder rücken.


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