© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

Endgültige Zerschlagung Jugoslawiens
Kosovo: Bei den Wiener Verhandlungen um die Statusfrage der serbischen Provinz werden Prinzipien des Völkerrechts gebeugt
Wolfgang Seiffert

Seit Februar wird in Wien über den künftigen Status der serbischen Pro-vinz Kosovo verhandelt. Schon die Frage, wer da mit wem verhandelt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Das seit 1912 zu Serbien gehörende Amselfeld (so die alte deutsche Bezeichnung) wird seit 1999 - dem Ende des von der Uno nicht gebilligten Nato-Krieges gegen Jugoslawien - von der Uno verwaltet.

Dennoch gehört das inzwischen zu etwa 90 Prozent von Albanern bewohnte Kosovo aber völkerrechtlich weiter unbestritten zur 2003 aus der Bundesrepublik Jugoslawien entstandenen Staatenunion Serbien-Montenegro. Serbien-Montenegro wird durch die Regierung in Belgrad vertreten, das Kosovo durch die Provinzregierung in Pristina. Chefverhandler der Uno ist der finnische Ex-Präsident Martti Ahtisaari.

Soweit es um die Verhandlungen über die Dezentralisierung und Fragen der Verwaltung im Kosovo geht, mag das berechtigt sein. Was aber die eigentliche Verhandlungsfrage, den künftigen Status des Kosovo, anbelangt, ist wohl die Forderung des national-konservativen Regierungschefs von Serbien-Montenegro, des Juraprofessors Vojislav Kostunica, berechtigt, daß es hierüber direkte Verhandlungen zwischen Belgrad und der Provinz Kosovo geben muß. Jedenfalls entspräche das dem geltenden Völkerrecht.

Danach allerdings sieht es bisher nicht aus. Nach der ersten Verhandlungsrunde in Wien deutet jedenfalls alles darauf hin, daß dem Kosovo für die Zukunft ein Status aufgezwungen werden soll, der unter dem Signum einer "bedingten Unabhängigkeit" unter internationaler Aufsicht praktisch die Herauslösung dieser Provinz aus der Staatenunion Serbien-Montenegro bedeutet.

Nimmt man hinzu, daß für den 21. Mai ein Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros geplant ist, so wird offensichtlich, daß es um die völlige Zerschlagung des 1945 von Josip Broz Tito geschaffenen Jugoslawiens geht. Zudem käme es damit zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Grenzänderung in diesem Teil des Balkans. Es entstünde neben der schon existierenden Republik Albanien ein zweiter albanischer Staat, dessen Bevölkerungsmehrheit ebenfalls Albaner sind.

Damit wird der mit der Nato-Aggression vom März 1999 begonnene Weg gegenüber dem Kosovo fortgesetzt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß fast alles, was seitdem im Kosovo geschah, von außen mit Gewalt und ökonomischem Druck erzwungen wurde. Dabei läge eine dem Völkerrecht gemäße Regelung der Kosovofrage auf der Hand.

Die Provinz müßte einen weitreichenden Autonomiestatus innerhalb des serbischen Staates erhalten, der gleichzeitig die Minderheitenrechte garantiert. Eben eine solche Lösung sah ein von der serbisch-orthodoxen Kirche im August 1999 eingebrachter Plan vor. Doch der damalige US-Botschafter bei der Uno und der UN-Koordinator erachteten diesen Plan nicht einmal für diskussionswürdig. Warum, wird jetzt offensichtlich. Wenn manche Kommentatoren meinen, die jetzt anvisierte "bedingte Unabhängigkeit" des Kosovo trüge dem Selbstbestimmungsrecht der Albaner im Kosovo Rechnung, hat vom Selbstbestimmungsrecht nichts verstanden. Wie ein von außen aufgezwungener Status dem Selbstbestimmungsrecht entsprechen soll, läßt sich in keiner Sprache erklären.

Das Gegenteil ist richtig: Selbstbestimmung muß frei - ohne Zwang von außen - ausgeübt werden, und sie darf das Prinzip der territorialen Integrität des Mutterstaates nicht in Frage stellen. Höchstwahrscheinlich wird auch die zweite Verhandlungsrunde, die am 17. März in Wien beginnt, von solchen nach wie vor gültigen Prinzipien des Völkerrechts weit entfernt verlaufen.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Er schrieb das Buch "Selbstbestimmungsrecht und deutsche Vereinigung" (Baden-Baden 1992).


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen