© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/06 10. März 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lohnverzicht
Karl Heinzen

Die Arbeitslosigkeit verharrt auf den Rekordhöhen der Ära Schröder. Auch wenn das Wirtschaftswachstum anziehen sollte, dürfte sich dies so gut wie gar nicht auf die Beschäftigung auswirken. Ungeachtet dessen soll das Arbeitskräfteangebot durch eine Erhöhung des Renteneintrittsalter auf das 67. Lebensjahr vergrößert werden. Die Frage, wie man die Wirtschaft dazu motivieren kann, ausgerechnet alte, nach heutigen Maßstäben längst ruhestandsbedürftige Menschen einzustellen, wo sie doch liebend gerne bereits auf viel jüngere verzichtet, steht somit im Raum.

Eine Antwort gibt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Das sogenannte "Senioritätsprinzip", daß mit fortschreitendem Alter automatisch das Einkommen wächst, sei nicht bloß überholt, sondern vielmehr umzukehren: Ihrer immer geringer werdenden Produktivität entsprechend sollten die älteren Beschäftigten einfach auch immer weniger Lohn erhalten.

Dieser Vorschlag mag jene empören, die antiquierte Vorstellungen vom Alter hegen und dieses etwa mit Begriffen wie Erfahrung oder Kompetenz verbinden. Sentimentalität ist aber unter den heutigen Bedingungen ein nicht mehr bezahlbarer Luxus. Wenn die Gesellschaft Geschenke an ihre Senioren verteilen will, soll sie selbst dafür aufkommen und die Last nicht den Unternehmen aufbürden.

Zweifel sind allenfalls angebracht, ob sich durch Lohnverzicht die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer tatsächlich erhöhen. Viel eher ist zu erwarten, daß die Unternehmen lediglich Einsparungen bei jenen vornehmen, die sie sowieso nicht entlassen wollen. Allein dies rechtfertigt jedoch, sich auf Walters Vorschlag einzulassen. Man sollte ihn zudem weiterdenken und die Frage aufwerfen, ob sich Einkommenseinbußen nicht auch bei anderen Altersgruppen begründen ließen. Zum Beispiel bei den Berufseinsteigern: Ihre Einkommen sind zumeist völlig überzogen, da man ihnen aufgrund von Ausbildungs- und Praktikumsnachweisen ein Leistungspotential zutraut, über das sie gar nicht verfügen.

Bei den Angehörigen der mittleren Generation wiederum gilt es zu bedenken, ob man sie nicht überfordert, wenn ihnen ein Lebensstandard zugebilligt wird, von dem sie im Alter deutliche Abstriche machen müssen.

Der Trend geht also zu Lohnkürzungen quer durch alle Altersgruppen. Diese Idee ist nicht neu. Norbert Walter eröffnet mit seinem Vorstoß aber die Chance zu einer sachlichen Debatte, die den Menschen und nicht die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellt.


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