© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Wer nicht denkt, bleibt dumm
Deutschland verblödet: Tabus behindern eine dringend notwendige Diskussion um den Intelligenzverfall
Heinz Weißmann

Intelligenztests können nicht in Bausch und Bogen als nichtssagend abgetan werden; es bestehen Intelligenz-Unterschiede zwischen Gruppen; von einer niedrigen Erblichkeit des IQ auszugehen, ist in Anbetracht der heute vorliegenden Daten nur Wunschdenken." Solche Sätze wären heute in einem großen Medium kaum vorstellbar. In den siebziger Jahren konnten sie sogar von einem Zeit-Journalisten geschrieben werden; mit den "Gruppen" waren übrigens Rassen gemeint.

Im Kulturteil der Zeit hatte Dieter Zimmer damals eine Art Monopol auf die umfassende und kompetente Darstellung strittiger Themen, bevorzugt solche, die den Übergang von den Natur- zu den Sozialwissenschaften betrafen: die Wirksamkeit der Psychoanalyse, die Bedeutung der Ethologie, die Ergebnisse der Zwillingsforschung, die Bewußtseinsbildung bei ungeborenen Kindern, die Entdeckungen der Paläoanthropologie und alles, was unsere "erste Natur" betrifft und den Menschen trotz Kultur beeinflußt.

Zu diesem Bereich gehörte nach Meinung Zimmers auch die Intelligenzforschung. Die Debatte um die damit zusammenhängenden Fragen hatte sich in der Nachkriegszeit zugespitzt, wobei der Behaviorismus immer stärker an Einfluß gewann. Auch wenn einzelne am Rand dieser Schule wie Hans Jürgen Eysenck die Bedeutung des Genetischen hervorhoben, herrschte sonst die Auffassung vor, daß der Mensch im wesentlichen konditionierbar sei und daß es so etwas wie Intelligenz als fixe, vor allem durch Erbfaktoren bestimmte Größe gar nicht gebe.

Die Ursache für die Anziehungskraft derartiger Argumente lag darin, daß die Behavioristen auf unbestreitbar historische Veränderungen in der Intelligenzstruktur hinweisen konnten und auch darauf, daß durch entsprechende Lernprogramme Intelligenz steigerbar und daß bei einer Benachteiligung bestimmter Gruppen - etwa durch sprachlich orientierte Tests, denen man Kaumalphabetisierte unterzog - geringere Intelligenz irrtümlich als feststehende Größe erschienen war. Vor allem aber entsprachen die Thesen des Behaviorismus technokratischen Machbarkeitsvorstellungen der sechziger Jahre.

Chinesen und Koreaner schnitten besser ab als Weiße

Vereinfacht wirkte sich die behavioristische Grundannahme auch auf die "Milieutheorie" aus, die nach dem kulturellen Linksruck an Einfluß in der westlichen Welt gewann. Wie dramatisch die Folgen für die Opponenten sein konnten, die daran festhielten, daß der Mensch keineswegs als "weißes Blatt Papier" auf die Welt komme und dann beliebig durch gesellschaftliche Einflüsse geprägt werde, zeichnete sich an der von Arthur R. Jensen 1972 ausgelösten Debatte ab.

Jensen hatte bei seinen Untersuchungen weißer und farbiger Schulkinder in den USA festgestellt, daß die durchschnittliche Intelligenz der farbigen signifikant nach unten abwich: ein Ergebnis, das prompt als "faschistisch", "rassistisch" etc. skandalisiert wurde. Die Seriosität von Jensens Datenerhebung wurde ebenso in Frage gestellt wie sein erkenntnisleitendes Interesse. Daß er seine Analyse ausdrücklich mit der Aufforderung verknüpft hatte, die schulische und außerschulische Erziehung der farbigen Kinder zu verbessern, nahm im Getöse des Weltanschauungskampfes niemand mehr zur Kenntnis.

Verglichen mit dessen Heftigkeit verlief die Auseinandersetzung um das 1994 erschienene Buch "The Bell Curve" von Richard J. Herrnstein und Charles Murray harmlos, obwohl es praktisch zu denselben Ergebnissen kam wie die Untersuchung von Jensen. Ein Grund dafür lag wohl darin, daß nach Jahrzehnten positiver Diskriminierung das notorisch schlechtere Abschneiden der Farbigen nicht mehr ohne Wenn und Aber auf schlechte soziale Ausgangsbedingungen zurückgeführt werden konnte und außerdem die Pluralisierung der Rassenmischung in den USA zur Folge hatte, daß auf andere Minderheiten hinzuweisen war, wie etwa Chinesen und Koreaner, die bei Intelligenztests nicht nur gleich gute, sondern bessere Ergebnisse als die Weißen erzielten.

An der relativen Stabilität dieser Fakten hat auch die Differenzierung des Intelligenzbegriffs in neuerer Zeit nichts geändert. Selbst wenn man Modisches wie etwa die Einführung einer "emotionalen Intelligenz" außer Betracht läßt, verstärkt sich der Eindruck, daß Intelligenz heute zwar als eine flexible Größe betrachtet wird, deren manifester Anteil aber als statisch und durch genetische Faktoren bedingt erscheint.

Ihre Bedeutung für alle analytischen Fähigkeiten und damit für die Lebensbewältigung in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation mindert das nicht, ganz im Gegenteil. Intelligenz gehört zu den entscheidenden individuellen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Erfolg verbürgenden Ressourcen. Um so beunruhigender, wenn jetzt Hinweise auf einen Intelligenzverfall entdeckt werden.

Anfang des Jahres veröffentlichte die Welt ein Interview mit Siegfried Lehrl, Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Nürnberg-Erlangen und Spezialist für Intelligenz-, Gedächtnis- und Demenzforschung. Was Lehrl in dem Zusammenhang ausführte, lief auf die Behauptung hinaus, es gebe ein sukzessives Absinken der durchschnittlichen Intelligenz. Diese habe noch in den neunziger Jahren zugenommen, sei jetzt aber im Rückgang begriffen. Während bis dahin die verbesserten Lebensbedingungen - nicht zuletzt die regelmäßige und hochwertige Ernährung - zu einem Anstieg beigetragen hätten, müsse man neuerdings einen Verfall feststellen.

Intelligenz verbürgt Erfolg in der Wissensgesellschaft

Als Hauptursache betrachtet Lehrl den Abbau der Sozialdisziplin und eine neue Art gesellschaftlicher Selektion. Die führe durch die immer stärkere Verknüpfung von gesellschaftlichem Aufstieg und Intelligenz zu einer Konzentration der Intelligenzschwachen in den Unterschichten. Deren Möglichkeit, ihre Herkunftsbedingungen zu überwinden, reduziere sich in dem Maß, in dem Intelligenz eine entscheidende Voraussetzung für beruflichen Erfolg bilde.

Bisher genüge das Wohlstandsniveau noch, eine anstrengungslose Existenz zu sichern. Aber die auf den Massengeschmack zugeschnittenen Medienangebote verstärkten die Degeneration, da sie keine geistigen Anforderungen stellten und gleichzeitig körperliche wie geistige Bequemlichkeit förderten, die der Intelligenz schädlich seien; ein Absacken der Intelligenz dieser Gruppen bis auf das "Erhaltungsminimum" werde denkbar. Demgegenüber könnten die Intelligenteren auch die besonderen Möglichkeiten der modernen Technologien für die Förderung ihrer Fähigkeiten nutzen. Die Folge sei ein nicht nur ökonomisches, sondern auch intellektuelles Auseinanderfallen der Gesellschaft. Historische Parallelen seien wegen des fehlenden Zahlmaterials schwer zu nennen, aber der Untergang von Hochkulturen in der Vergangenheit habe wahrscheinlich auch mit ähnlichen Prozessen kollektiver "Verblödung" zu tun: "Das römische Reich und seine Dekadenz wären ... sicher so ein Fall."

Dem könnte man nur entgegengetreten, wenn das in den Sozialwissenschaften und zumal in der Pädagogik geltende Anthropologieverbot aufgehoben würde, das eben auch keinen realistischen Blick auf Struktur und Verteilung von Intelligenz zuläßt. Zahlreiche Fehlentwicklungen auf gesellschaftspolitischen Feldern erklären sich jedenfalls dadurch, daß die akademischen Berater jeden Bezug auf ein realistisches Menschenbild verweigern.

Fragt man sich beispielweise, wieso trotz der Eindeutigkeit der Pisa-Ergebnisse keine adäquaten Konsequenzen in der Bildungspolitik gezogen werden, so ist die Antwort nicht zuletzt darin zu suchen, daß eine seit Jahrzehnten anhaltende Indoktrination zu vollkommen abwegigen Vorstellungen im Hinblick darauf geführt hat, was den Menschen ausmacht, wie seine Möglichkeiten aussehen und wodurch diese Möglichkeiten absolut begrenzt werden - unter anderem durch das Fehlen von Intelligenz.

Foto: "Der Denker", Skulptur von Rodin: Medienangebote für den Massengeschmack fördern die Degeneration


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen