© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Martern aller Arten
Regisseurtheater: Ohne blutige Hosen für die Eunuchen geht es in Mozarts Gedenkjahr nicht ab
Christian Bayer

Schiller hat es bereits hinter sich, Mozart steht im Gedenkjahr 2006 wohl noch einiges bevor. Neben der kommerziellen Ausschlachtung durch die Gedenkjahresindustrie möchte ihn ein Teil der Medien zum coolen Superstar stilisieren, um ihn auch noch für die moderne Trash-Kultur kompatibel zu machen. Aber auch die ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem Schaffen nimmt quantitativ ungeahnte Ausmaße an. So wird heuer in Salzburg das komplette Bühnenwerk Mozarts inszeniert. Was an Qualität bleibt, wird sich zeigen.

Einige Inszenierungen zogen in diesem Jahr schon verstärkt Aufmerksamkeit auf sich: Willy Deckers aus Krankheitsgründen unter einem unglücklichen Stern stehender Wiener "Idomeneo" sowie die "Don Giovanni"-Produktion des Filmregisseurs Michael Haneke in Paris. Er interpretiert die Hauptfigur - wie originell - als Ausgeburt des Kapitalismus.

Schon vor dem Gedenkjahr mußte der Opernbesucher "Martern aller Arten" erdulden, wenn er sich in eine Mozart-Inszenierung wagte. Da traf der Zuschauer auf Regisseure, die in Interviews ihre Inszenierungen als Drogenräusche interpretieren, wie der Spanier Calixto Bieito (Jahrgang 1963), Direktor des Teatre Romea in Barcelona. Im ewig gleichen Kreislauf von Sex und Gewalt, der Bieitos Inszenierungen ausmacht, wurde auch Mozarts "Entführung aus dem Serail" an der Komischen Oper in Berlin verwurstet. Fleißig wird in allen Varianten kopuliert und massakriert, egal ob es sich um die "Entführung aus dem Serail", "La traviata", "Don Giovanni" oder - ebenfalls von Calixto Bieito inszeniert - Puccinis "Madame Butterfly" (JF 41/05) handelt.

Auch Martin Duncans Inszenierung der "Entführung aus dem Serail" in München mißtraut dem Stück. Statt der Dialoge peinliche Zwischentexte auf Grundschulniveau, rezitiert von einer türkischen Schauspielerin nach dem Motto "Der Orient für Anfänger". Ohne blutige Hosen für die Eunuchen als Anspielung auf die Kastration geht es selbstverständlich auch hier nicht ab.

Geradezu harmlos mutet da Verdis "Rigoletto" auf dem Planet der Affen an, in Szene gesetzt von der Film- und dilettierenden Opernregisseurin Doris Dörrie. Nach ihrer Inszenierung von "Così fan tutte" an der Staatsoper Berlin mußte das Publikum ihre Verdi-Verunstaltung an der Bayerischen Staatsoper über sich ergehen lassen. In Interviews rühmt sich die 50jährige Regisseurin, daß sie vor der Anfrage von Daniel Barenboim zu ihrer ersten Opernregie keine Oper kannte. Wer nichts kann, wird Opernregisseur. Ein Mindestmaß an Kenntnis und Qualifikation sollte der Zuschauer vom Regisseur schon erwarten können. Kritik an diesen Elaboraten wird dann gerne als faschistoid bezeichnet, wie von Peter Konwitschny, gleich mehrfach durch die Fachzeitschrift Opernwelt zum Regisseur des Jahres gewählt.

All das - in den Feuilletons oft heftig bejubelt und nur wenig hinterfragt - wird fälschlicherweise unter dem Begriff Regietheater etikettiert. In diesen Produktionen findet aber gerade keine Regie mehr statt. Mit einer Definition als Regietheater würde man den großen Opernregisseuren von Günther Rennert bis Jean-Pierre Ponnelle Unrecht tun. Vielmehr sind die Inszenierungen mittlerweile zum Regisseurtheater degeneriert.

Mit einer werkgerechten Inszenierung muß keineswegs der Rückfall ins unverbindlich Kulinarische verbunden sein, vielmehr ist eine Interpretation ohne Entstellung des Kunstwerks erst möglich. Da nachfolgende Generationen nicht mehr die Möglichkeit bekommen, eine Oper annähernd werkgerecht in ihrer ursprünglichen Gestalt kennen zu lernen, wird auch die Auseinandersetzung mit dieser Kunstform zunehmend unmöglich.

Einfacher und treffender, als es der Bariton Thomas Hampson formuliert, läßt es sich nicht sagen: "Wenn man sich nicht mit Mozarts musikalischer Welt und Dramaturgie auseinandersetzt, geht man an der Sache eher vorbei."

Das Regisseurtheater entmündigt den Zuschauer, weil es ihn seiner Fantasie beraubt und einer eindimensionalen Sichtweise des Regisseurs unterwirft. Alternative Ansätze dazu finden im aktuellen Kulturbetrieb kaum Beachtung. Wenn sie überhaupt noch Platz im Feuilleton finden, werden sie als unzeitgemäß denunziert.

Der Regisseur mißtraut dem Text, das Feuilleton jubelt

Möglich macht diese Entwicklung eine unheilige Allianz aus Regisseuren und Feuilletonisten, in der eine linksliberale Kultur-Mafia zum Angriff auf die vermeintlich letzte Bastion einer bürgerlichen Kultur ansetzt. Beteiligt sind natürlich auch die staatlichen Kulturbürokraten, die für ihre Fehlentscheidungen keine Verantwortung zu tragen haben. Da macht die Stadt Wien für ein Mozart-Festival unter der Leitung des Regisseurs Peter Sellars Wien 20 Millionen Euro locker, während die traditionsreiche Wiener Volksoper möglicherweise vor dem Aus steht. Kultur-"Event" statt Kulturarbeit - auch eine Folge der Diktatur der Regisseure, der man sich bereitwillig unterwirft.

Das Argument, ohne beständige Aktualisierung würde Oper eine museale Kunst werden, trifft eben gerade nicht ins Schwarze. Im Gegenteil: Wenn die Opernbühne weiterhin zum Spielplatz einiger Regisseure verkommt, werden die Häuser eines Tages leer sein. Dann erst ist die Kunstform Oper wirklich tot.

Foto: "Die Entführung aus dem Serail", inszeniert von Calixto Bieito


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