© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/06 17. März 2006

Balalaika spielen, Lotto oder Riester-Rente
Renten- und Alterssicherungsbericht: Die Bundesregierung kündigt indirekt sinkende Renten und höhere Beiträge an
Klaus Peter Krause

Bekannt ist die Botschaft längst, aber der Rentenversicherungs- und der Alterssicherungsberichte, vorgelegt von der Bundesregierung am 8. März, bekräftigen sie: Mit der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) allein kommt im Ruhestand kaum einer mehr über die Runden. Das hatte bis 1998 unter Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) noch ganz anders geklungen. Dann kam das allmähliche Erwachen und die Erkenntnis, daß man in einer bedrückenden Wirklichkeit aufgewacht war.

Dynamische Beiträge statt dynamischer Rente

So lesen nun Berufstätige und Rentner, die von damals und die von heute, regierungsamtlich, es sei "klar, daß von der gesetzlichen Rente alleine der Lebensstandard im Alter zukünftig nicht mehr gehalten werden kann". Aber auch diese Äußerung ist schon wieder irreführend. Sie gaukelt nämlich vor, mit der Rente in der schöneren Zeit zuvor sei er gehalten worden. Wie soll das auch gehen? Der Lebensstandard - und das ist der, den man als Berufstätiger besaß - ist nie zu halten, wenn die Rente 30 bis 40 Prozent geringer ist als das einstige Arbeitseinkommen; einschränken muß man sich dann zwangsläufig. Das immerhin war, weil Lebenserfahrung, jedermann bewußt.

Aber erst jetzt wird jedermann die wirkliche Wirklichkeit bewußt, jedenfalls die vorläufige, also die, wie sie die Regierung jetzt vorträgt und die schlimm genug ist. Bündig und im Klartext lautet sie: Die "dynamische Rente" ist endgültig perdu - verloren, vertan. Die heute und schon länger Rentner sind, müssen damit fertigwerden, daß ihre Rente nicht mehr steigt. Auf die Hälfte davon müssen sie seit Jahresbeginn sogar Einkommensteuer zahlen - was freilich vertretbar ist (JF 6/06).

Und den heute noch Berufstätigen zwingt der Staat vom kommenden Jahr an einen noch höheren Beitragssatz ab. Dabei wissen die so Gebeutelten, daß sie damit ein ganz schlechtes Geschäft machen und daß sie zusätzlich anderweitig vorsorgen, also noch mehr zahlen müssen, um im Ruhestand nicht in Armut zu fallen. Noch ist das "freiwillig", aber daß auch diese Zusatzvorsorge irgendwann zum gesetzlichen Zwang wird, ist abzusehen.

So hat sich das ursprünglich Dynamische an dieser Alterssicherung zugunsten der Rentner gewandelt zur steigenden Belastung für die Berufstätigen. Ihr Beitragssatz wird 2007 von derzeit 19,5 auf 19,9 Prozent des Arbeitsentgelts weiter heraufgesetzt. Erst für 2012 verheißt ihnen der Rentenbericht, daß er wieder sinkt und von 2014 bis 2019 mit 19,4 Prozent stabil bleibt. Aber ob sich die Verheißung erfüllt, ist sehr ungewiß.

Sie beruht auf Annahmen zur Beschäftigungsentwicklung, die Bert Rürup, der Vorsitzende des Sozialbeirats, als "sehr ambitioniert" bezeichnet hat und damit anzweifelt. Schon jetzt ringt Sozialminister Franz Müntefering (SPD) in einem Kraftakt mit Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) für die Rentenkasse um einen einmaligen zusätzlichen Bundeszuschuß von 600 Millionen Euro, damit der Beitragssatz nicht doch noch vor 2012 auf über 20 Prozent angehoben werden muß. Selbst wenn er das Geld bekommt, ist alles ist hart auf Kante genäht und die Gefahr, daß die Nahtstellen reißen, groß.

Angesichts dessen müßten sich die heutigen Rentner eigentlich sogar zu einem Dankgebet an Müntefering aufraffen. An sich nämlich sollen die Renten der Entwicklung der Arbeitsentgelte folgen. Darunter verstanden alle immer nur, wie auch geschehen, steigende Entgelte. Das eben war das "Dynamische" der Rente. Inzwischen sind sie rückläufig. Also müßten die Renten gesenkt werden. Aber das Versprechen, bis 2009 blieben die Renten ungekürzt, will Müntefering nicht brechen.

Er und die Großkoalitionäre wissen, daß die knapp 20 Millionen Rentner ein Viertel der Bevölkerung und unter den Wahlberechtigten ein noch stärkerer Block sind. Die Kürzungen sollen ("aber nicht vor 2010") unmerklich nachgeholt werden, wenn es wirtschaftlich wieder aufwärtsgeht. Aber jetzt ist das Versprechen eine höchst unerwünschte finanzielle Belastung, abgewälzt auf die Beschäftigten, Arbeitgeber und Steuerzahler.

Demographische Krise und politische Fehllenkungen

Daß es in der Zukunft erst mit 67 Jahren "in die Rente geht" statt wie jetzt noch mit 65, steht zwar fest, wird daher vom Bericht ebenfalls bekräftigt, zieht sich aber noch lange hin. Die Anhebung der, so das Rentendeutsch, "Regelaltersgrenze" auf zunächst 66 Jahre beginnt 2012, und zwar zwölf Jahre lang bis 2023 um jährlich einen Monat und anschließend sechs Jahre lang von 2024 bis 2029 um jährlich zwei Monate auf 67 Jahre. Für die, die gern arbeiten und noch arbeiten können, ist das wohl kaum eine Zumutung, zumal die Menschen länger leben und länger fit sind.

Vor allem beziehen sie zwei zusätzliche Jahre ihr volles Arbeitsentgelt. Ausnahmen für einzelne Berufsgruppen soll es nicht geben - Regeln für vorzeitige Mindererwerbs- oder Erwerbsunfähigkeit gibt es jetzt schon. Wer freilich volle 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt, soll nach wie vor mit 65 abschlagsfrei in den Ruhestand treten können. Diese Ausnahme ist verfehlt.

Die traurige Tatsache, daß die heutige Rente allein nicht mehr reicht, schiebt Müntefering allein auf die demographische Entwicklung. Das ist Täuschung. Geschehen ist das im wesentlichen durch falsche politische Weichenstellung (Umlage- statt Kapitaldeckungsverfahren), durch politischen Mißbrauch (systemwidrige Mittelverwendung), durch politische Mißwirtschaft in Wirtschafts- und Finanzpolitik und durch die Arbeitslosigkeit, erst dann auch durch Kindermangel und hohen Alten-Anteil in der Gesellschaft. Diese Gründe sind zum Großteil ebenfalls Folgen politischer Fehllenkungen: Das Desaster ist von Politikern und ihren Wählern selbstverschuldet.

Zur Erläuterung, auf welche Weise die Bürger denn über die heutige Rente hinaus zusätzlich vorsorgen müßten, hat Müntefering diese Äußerung von sich gegeben: "Da kann man Verschiedenes versuchen: Balalaika spielen oder Lotto spielen, Riester-Rente oder betriebliche Versicherung machen, und dann muß man sehen, ob man auf diese Art und Weise etwas zusammenbekommt." Eine solche Flapsigkeit ist dem Ernst des Gegenstands völlig unangemessen. Sie zeigt die Arroganz eines Politikers, der sich einer sehr komfortablen Art von Altersversorgung sicher weiß.

Müntefering versichert: "Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt weiter die zentrale Säule der Alterssicherung." Das soll Zuversicht verbreiten, ist aber eher eine Drohung, weil diese Versicherung systembedingt marode ist. Die große Umsteuerung, die jetzt begonnen hat und sich über eine lange Anpassungszeit hinstreckt, muß am Ende weit mehr bringen als das, was auf lange Sicht bisher geplant ist: eine Abkehr vom Umlageverfahren, von der Altersversicherung als Staatsmonopol und von der Zwangsbeteiligung der Arbeitgeber an der halben Beitragszahlung. Das würde die Anpassungsfähigkeit der Altersicherung wirklich stärken - und sichern.


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