© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

PRO&CONTRA
Verdienen Ärzte zu wenig ?
Frank Ulrich Montgomery / Ulrich Konstantin Rieger

Die heftigen Streiks der Klinikärzte in Deutschland sind ein natürlicher Reflex auf die massiven Kürzungen ihrer Einkommen, die die Arbeitgeber in den letzten Jahren vorgenommen haben. Mit der Kürzung des Weihnachtsgeldes, der kompletten Streichung des Urlaubsgeldes und der Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 42 Stunden ohne Lohnausgleich sind die Ärzte-Gehälter in den letzten drei Jahren bereits um 20 Prozent reduziert worden. Hinzu kommt die systematische Nichtvergütung millionenfacher Überstunden. Diesen unerträglichen Lohnraub der Arbeitgeber wollen und dürfen die Ärzte nicht widerstandslos hinnehmen. Summiert man alle Gehaltskürzungen zusammen, kommt man weit über die geforderten 30 Prozent. Die Ärztinnen und Ärzte wollen im Prinzip nur einen Teil dessen wiederhaben, was ihnen gestohlen wurde. Vergleicht man die Einkommen deutscher Klinikärzte mit denen europäischer Kollegen, müßte die Gehaltsforderung deutlich höher sein. In Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden verdienen die Ärzte 200 bis 300 Prozent mehr! Sogar spanische Ärzte verdienen mehr als deutsche. Diese Tatsache führt zur dramatischen Flucht deutscher Ärzte ins Ausland. Zur Zeit können über 5.000 offene Arztstellen in deutschen Krankenhäusern nicht besetzt werden, gleichzeitig arbeiten bereits über 6.300 deutsche Klinikärzte im Ausland. Die 30-Prozent-Gehaltsforderung der Klinikärzte bedeutet eine wichtige Maßnahme, um die Ärzteflucht ins Ausland und die drohende Verschlechterung der Patientenversorgung hierzulande abzuwenden. Zudem ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, deutsche Mediziner für teures Steuergeld hochqualitativ auszubilden, um sie dann mit katastrophalen Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten ins Ausland zu verjagen. Die Frage, ob Ärzte zu wenig verdienen, ist deshalb mit einem eindeutigen Ja zu beantworten.

 

Dr. Frank Ulrich Montgomery ist Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund.

 

Aus Ärger über ihre Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung fordern Ärztinnen und Ärzte 30 Prozent Lohnerhöhung. Das klingt klar, die Wahrheit ist aber komplizierter. Vor allem an Unikliniken. Ein lediger Arzt mit 28 Jahren erhält heute schon wesentlich mehr als das Grundgehalt von 3.091 Euro. Bei fünf Bereitschaftsdiensten kommen 1.642 Euro hinzu, einige Überstunden werden bezahlt (699 Euro), ab dem zweiten Jahr gibt es auch erste Anteile aus dem Pool der Privatliquidationen der Chefärzte, zusammen 5.732 Euro - beim Realschullehrer oder Juristen bleiben es 3.091 Euro. Bei einem 33jährigen Facharzt in der Chirurgie mit Frau und zwei Kindern kommen zum Grundgehalt von 3.974 Euro vergleichbare Bereitschaftsentgelte und Überstunden sowie ein höherer Poolanteil, die ein beachtliches Gehalt zwischen 7.500 und 8.000 Euro ergeben. In der Gesamtschau liegen deutsche Ärzte an Uniklinika im internationalen Vergleich weit vorne, mit Ausnahme vielleicht der Charité in Berlin. - Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder bietet vier Verbesserungen an. 1.) Überlange Dienste sollen begrenzt, wissenschaftliche Arbeit und unmittelbare Arbeitsbedingungen erleichtert werden. 2.) Die Arbeitszeit wird auf 42 Stunden angehoben, ergänzt um die Option einer individuell vereinbarten Arbeitszeit bis zu 48 Stunden, durch die das Einkommen verläßlich um bis zu 15 Prozent höher läge. 3.) Eine spezielle, an den Gegebenheiten der Uniklinika orientierte Gehaltstabelle. Bei 42 Stunden würde eine Ärztin im 2. Jahr dann 3.570 Euro verdienen statt 3.091 heute. 4.) Leistungsbezogen sind weitere 10 Prozent möglich, bei besonderer Arbeitsmarktsituation nochmals 20 Prozent.

Insgesamt ein sehr differenziertes und damit gerechtes System nach Arbeitszeit, Leistung und Qualität. 30 Prozent pauschal für alle Ärzte wäre ungerecht, ist unbezahlbar und müßte über höhere Beitragssätze finanziert werden, kurz: wäre Gift für den Standort Deutschland.

 

Ulrich Konstantin Rieger ist Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.


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