© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Tariq Ramadan
Die Sphinx
von Alain de Benoist

Die Zeitschrift Time rechnete ihn zu den hundert einflußreichsten Intellektuellen der Gegenwart. Aber ist Tariq Ramadan ein "gemäßigter Islamist" oder ein "Hardliner", der seine wahren Absichten verbirgt? Ein charmanter, völlig in der westlichen Gesellschaft integrierter Muslim oder ein "maskierter" Fundamentalist?

Ramadan, dessen Großvater Hassan al-Banna 1928 die ägyptische Moslembruderschaft gründete, wurde 1962 in Genf geboren, wo seine Eltern Zuflucht vor Nasser gefunden hatten. Er studierte Literatur und Philosophie in Genf und Kairo und kam 1994 nach Frankreich, wo er sich vor allem unter jungen Muslimen schnell einen Namen als äußerst populärer Prediger machte. 2004 erhielt er aus den USA einen Ruf als Professor für Islamkunde, doch dann verweigerte man ihm das Visum. 2005 berief ihn die britische Regierung als Berater. Derzeit lehrt er als Gastprofessor an der Universität Oxford.

Ramadan, der mit einer zum Islam konvertierten Französin verheiratet ist, faßt sein Credo so zusammen: "Was ich will? Die Mittel haben, mir selbst treu zu bleiben ... die Möglichkeit, Europäer und Muslim zu sein, ohne mein Selbst zu verleugnen. Denn weder gibt es einen Grund, weniger moslemisch sein zu müssen, um Europäer zu werden, noch weniger europäisch sein zu müssen, um sich als Moslem zu fühlen."

Ramadan hat sich gegen das gesetzliche Verschleierungsverbot ausgesprochen. Das Prinzip der Laizität ficht er jedoch nicht an, sondern begnügt sich mit der Forderung, es habe "vollständig, absolut, gleichermaßen für alle" zu gelten. Zudem insistiert er darauf, daß junge Muslime aus Einwandererfamilien strikt die Lehren des Koran befolgen. Dabei sollen sie jedoch die Gesetze des Landes, in dem sie leben, achten und sich dessen kulturellen Normen anpassen. Die jüngsten gewalttätigen Ausschreitungen in den Banlieues hat er klar verurteilt.

Der Streit, der sich an seiner Person entzündet hat, geht auf einen Text zurück, den er 2003 veröffentlicht hat. Darin wirft er bestimmten französischen Intellektuellen jüdischer Abstammung vor, im Hinblick auf den Irak-Krieg oder den israelisch-palästinensischen Konflikt Positionen einzunehmen, die eher "kommunitären Denkweisen" entspringen als "universellen Prinzipien der Gleichheit oder Gerechtigkeit". Diese Formulierungen genügten, um ihn als Antisemiten abzustempeln. Da half auch die Beteuerung nichts, daß er Antisemitismus stets verurteilt habe. Im November 2003 griff Innenminister Sarkozy ihn im Fernsehen scharf an. 2004 veröffentlichte eine lesbisch-feministische Aktivistin der extremen Linken namens Caroline Fourest ein Buch mit dem Titel "Frère Tariq" (Bruder Tariq), in dem sie ihn als "Meister der Doppelzüngigkeit" bezichtigte. Eine genauere Untersuchung erwies allerdings, daß das Buch auf einer Reihe von Unterstellungen beruht.


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