© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Generalstreik angedroht
Frankreich: Die Proteste gegen die Einschränkung des Kündigungsschutzes haben sich ausgeweitet
Jörg Fischer

Als im Herbst letzten Jahres Jugendliche aus Einwandererfamilien in den heruntergekommenen Vorstädten (Banlieues) wochenlang nächtliche Gewaltorgien zelebrierten, zeigte die französische Regierung - und speziell Innenminister Nicolas Sarkozy - demonstrative Härte. Und sie war sich dabei des Beifalls der Mehrheit der Franzosen sicher (JF 47/05).

Seit zwei Wochen gibt es wieder Proteste, inzwischen zum Teil auch mit Gewalt verbunden. Vergangenes Wochenende waren landesweit über eine halbe Million (Polizeischätzung) bis zu 1,5 Millionen (Gewerkschaftsangaben) Menschen auf den Straßen. Doch diesmal sind die Sympathien etwas anders verteilt. Jetzt sehen sich vor allem Studenten aus der französischen Mittelklasse existentiell betroffen. Über ein Drittel eines Abiturjahrganges studiert, aber lediglich die Hälfte der Uni-Absolventen erhält anschließend eine adäquate Stelle, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent.

Anlaß für die Massenproteste ist der "Vertrag für die Erstanstellung" (Contrat première embauche/CPE), der im Februar von der französischen Nationalversammlung als Teil des Chancengleichheitsgesetzes ("Pour l'égalité des chances") beschlossen wurde. Mit dem CPE können Personen unter 26 Jahren während der ersten zwei Jahre ihrer Beschäftigung ohne Begründung fristlos entlassen werden. Im Gegensatz zum seit 2005 geltenden "Contrat nouvelle embauche" (CNE), der nur für Kleinunternehmen galt, steht der CPE allen Firmen mit über 20 Mitarbeitern offen. Die französischen Gewerkschaften sehen im CPE eine Aushöhlung des Arbeitsrechts. Der "prekäre" Arbeitsvertrag degradiere Arbeiter zu "Wegwerf-Objekten" (salarié jetable). Sie warnen vor "hire & fire" à la USA, "erpreßten" Überstunden und unbezahlter Mehrarbeit. Der CPE erlaube es, "die Angestellten dem Willen ihres Bosses vollkommen zu unterwerfen", heißt es auf einem Flugblatt der Gewerkschaft CNT.

Die bürgerliche UMP-Regierung von Premier Dominique de Villepin propagiert den CPE hingegen lediglich als neue Chance für unqualifizierte Berufseinsteiger, die meist aus der Banlieue stammen. Unternehmer könnten diese nun einstellen, ohne langwierige Verfahren vor Arbeitsgerichten befürchten zu müssen. Begleitet werde der CPE von einer dreijährigen Freistellung des Arbeitgebers von den Lohnnebenkosten. Praktika und befristete Arbeitsverträge würden auf die zweijährige Probezeit angerechnet. CPE-Beschäftigte hätten 18 Monate lang das Anrecht auf eine Sozialwohnung. Nach mehr als vier Monaten Betriebszugehörigkeit erhielten CPE-Gekündigte zwei Monate lang weiter 490 Euro pro Monat.

Und da laut Umfragen etwa 60 Prozent der Franzosen gegen die CPE-Reform sind, glaubt die zur Zeit der Banlieue-Unruhen eher defensive linke Opposition nun ihr Thema gefunden zu haben. Für den 28. März ist nun ein nationaler Protesttag geplant. Ob dieser sich zu einem Generalstreik ausweitet und die Regierung zur Rücknahme des umstrittenen Gesetzes bewegt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Dominique de Villepin scheint zumindest angeschlagen - und das wird nicht nur die Linke, sondern auch seinen innerparteilichen Gegner im Kampf ums Präsidentenamt 2007 freuen: Nicolas Sarkozy.

Daß der mit noch viel drastischeren Arbeitsmarktreformen liebäugelt, ist die Ironie an der ganzen Geschichte.


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