© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Verfaulen bei lebendigem Leibe
In der DDR ging es nicht nur lustig zu: Von Donnersmarcks Film "Das Leben der Anderen"
Thorsten Hinz

Am Anfang dieses Films stand der Überdruß an den DDR-Komödien. An den Publikumsrennern, die die DDR als ein harmlos-deppertes Land zeigen, wo viel gelacht, heiß geglaubt, heftig diskutiert und - wenn es sein mußte - sogar scharf geschossen wurde! Letzteres war der höchsten Liebesbeweis des Staates für seine Bürger und ohne gravierende Folgen für Zielobjekt und Film.

In Leander Haußmanns "Sonnenallee" rappelt ein Jugendlicher nach gehabtem Schreck im Mauerstreifen sich wieder auf, und das einzige, was er beweinen muß, ist die demolierte Rolling-Stones-Schallplatte! Man sieht, der real-existierende Sozialismus war vor allem die krachlederne Variante der Spaßgesellschaft.

Der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, 1973 in Köln geboren, bisher nur als Autor von Kurzfilmen bekannt, erinnert sich anders. Bei Verwandtenbesuchen in der DDR, so war zu lesen, habe er die Allgegenwart von Furcht gespürt. Sein Film stützt sich nicht mehr auf Vorlagen von Thomas Brussig, sondern weckt Assoziationen an die Bücher von Jürgen Fuchs, Wolfgang Hilbig, Hans-Joachim Schädlich oder Christoph Hein, der im Abspann ausdrücklich genannt wird.

Donnersmarck, der auch das Drehbuch verfaßte, hat sich ausgiebig mit den ausgeklügelten Mechanismen des Psychoterrors beschäftigt, die die Staatssicherheit entwickelt hatte. Und schließlich hat er ein erstklassiges Darstellerensemble gewonnen, das bis in die Nebenrollen überzeugt.

Eine Theaterpremiere an der Berliner Volksbühne im November 1984. Aufgeführt wird das neue Stück des Schriftstellers Georg Dreyman (Sebastian Koch). Dreyman ist prominent, talentiert, nicht unkritisch, aber staatstreu auf jeden Fall: aus Überzeugung, in die sich eine gehörige Portion Furcht mischt. Denn die Staatsmacht läßt auch ihn spüren, wer hier Koch und wer Kellner ist. Seine Bitte, seinen seit Jahren mit Berufsverbot belegten Freund Albert Jerska (Volkmar Kleinert) wieder als Theaterregisseur arbeiten zu lassen, wird von Kulturminister Bruno Hempf (Thomas Thieme) in zynischer Weise abgeschlagen. Hempf hat sich auf der Premierenfeier in die Hauptdarstellerin Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck) verguckt, die er zur Gespielin möchte. Sieland ist die Freundin Dreymans. Um den Konkurrenten unter Druck zu setzen, veranlaßt Hempf seine Observation durch die Staatssicherheit getreu dem Motto: Ist erst einmal der Verbrecher identifiziert, findet sich auch ein Verbrechen, das er begangen hat.

Mit der Überwachung wird Hauptmann Gerd Wiesner (Ulrich Mühe) beauftragt: ein intelligenter, effizienter, lautloser, hochprofessioneller Mitarbeiter mit guten Manieren - der Traum jedes Personalchefs! Voyeurismus, ein schales Machtgefühl und die Überzeugung, am edlen Projekt des Menschheitsfortschritts mitzuarbeiten, bilden seinen Lebensinhalt.

Diese Überzeugung geht ihm verloren, als er begreift, daß er lediglich dazu beiträgt, die Gelüste eines Ministers zu befriedigen. Nach Dienstschluß schleicht er sich geduckt in seine Plattenbauwohnung, in der nichts auf Privatheit und persönliche Interessen hinweist. Nur eine großbusige Frau nimmt sich seiner an - gegen Bezahlung. Sein Leben erschöpft sich in der ihm zugewiesenen Funktion, und diese hat sein Leben von innen her aufgefressen.

Wiesners innere Leere steht für den Zustand der späten DDR, die eher implodiert als explodiert ist. "Die anderen", die Wiesner bespitzelt, versuchen immerhin, ein eigenes, selbständiges Leben zu führen. Diese Erkenntnis löst Neid bei ihm aus, ein Gefühl, das die destruktiven Energien normalerweise verdoppelt.

Doch Wiesners Persönlichkeit ist noch soweit intakt, daß er umzudenken beginnt. Umzudenken und sich aus ihrer politischen Passivität zu lösen beginnen auch "die anderen", nachdem Albert Jerska, weil er sein Verfaulen bei lebendigem Leibe nicht mehr ertrug, sich umgebracht hat. Die Handlung erhält eine unerwartete, aber unausweichliche Dramatik mit zum Teil tragischen Folgen ...

Das Arrangement aus mächtigem Minister, dem Dichter als Nebenbuhler und der schönen Schauspielerin, die beide begehren, stellt auf den ersten Blick ein Klischee dar. Andererseits reproduzierten sich solche archetypischen Konstellationen in der DDR nicht nur, sie bekamen unter den Bedingungen der geschlossenen Gesellschaft eine spezifische Brisanz. Die Abhängigkeitsverhältnisse, die anhand dieser Konstellation demonstriert werden, waren hier einige Stufen gnadenloser, und zwar für darstellende Künstler noch mehr als für Schriftsteller, die für ihre Arbeit nur Papier und Bleistift brauchten und einen Mittler, der das Manuskript in den Westen schaffte.

Ein Beispiel: Der DDR-Fernsehchef versuchte die Schauspielerin Angelica Domröse ("Die Legende von Paul und Paula") zur Rücknahme ihrer Unterschrift unter die Biermann-Petition mit der Drohung zu nötigen, wenn sie ein paar Jahre keine Rollen mehr bekäme, krähe kein Hahn mehr nach ihr. Tatsächlich wurde sie weitgehend kaltgestellt. Domröse, immerhin der größte weibliche Filmstar der DDR, stellte 1979 zusammen mit ihrem Mann, dem Schauspieler Hilmar Thate, einen Ausreiseantrag und setzte ihre Karriere im Westen fort. Viele andere konnten das nicht, ihre Künstlerbiographien verlieren sich im Nirgendwo.

Der Film zeigt auch die Seite der Mächtigen, die ebenfalls in einer von Mißtrauen und Denunziation geschwängerten Atmosphäre leben und in Angst vor den Vorgesetzten. Die Filmfarben changieren zwischen Grau und Oliv, man riecht förmlich Bohnerwachs und Linoleum, die Vollzugsbeamten der Macht stecken in schlecht geschnittenen Anzügen, die ihre Bewegungen einengen.

Auch Wiesners Vorgesetztem, Oberstleutnant Anton Grubitz (Ulrich Tukur) ist anzumerken, daß er mit seinem Leben mal was Besseres vorhatte. Seine höhere Stellung gibt ihm Gelegenheit, seine Frustration über seine Arbeit, den Zustand der DDR und die Nackenschläge durch den Minister mittels gezielter Demütigung von Untergebenen zu kompensieren. Ist Wiesner noch der asketische Idealist, kündigt sich bei Grubitz schon der feiste Genießer an. Im Minister schließlich ist der zynisch-genießerische Machtmensch, der weiter an nichts mehr glaubt, zu sich selbst gekommen.

Der Film dauert 137 Minuten, 20 Minuten weniger hätten es auch getan. Die tragisch-dramatische Orchestermusik (Gabriel Yared) ist eine Nummer zu groß. "Das Leben der anderen" spielt in der Honecker-Zeit. Honecker war eine unangenehme Figur der Zeitgeschichte, aber kein Stalin und auch kein Ceaucescu. Streichquartette von Bartok oder Schostakowitsch hätten genügt.

Donnersmarcks Film beschert ein Wiedersehen mit der DDR, das den Zuschauer eindringlich daran erinnert, das es dort weiß Gott nicht nur lustig zuging. Diese Mahnung war nötig. Trotz seiner Qualitäten wurde er nicht für die Berlinale nominiert. Das verstehe, wer kann.

Regisseur Donnersmarck hat sich aus-giebig mit den Mechanismen des Psychoter-rors beschäftigt, die die DDR-Staatssicherheit entwickelt hatte.

Man riecht förmlich Bohnerwachs und Linoleum, die Vollzugsbeamten stecken in schlecht geschnittenen Anzügen, die ihre Bewegungen einengen.

Foto: Schriftsteller und Stasi-Opfer Georg Dreyman (Sebastian Koch): Ist erst einmal der Verbrecher identifiziert, findet sich auch ein Verbrechen

Foto: Stasi-Hauptmann Gerd Wiesner (Ulrich Mühe): Innere Leere


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