© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

Land der Kleinlauten
Jugendschutz: Urteil gegen den deutschen Rapper Sido
Thor Kunkel

Schon eine Weile schwelte der sinnlose Streit um die Indizierung eines Rap-Albums, auf dem die amtlichen Sittenwächter einen jugendgefährdenden Text wittern: "Endlich Wochenende" von Sido. Die bereits Ende 2005 eingeleitete Indizierung seiner CD "Die Maske" durch die Bonner Prüfstelle wurde am 8. März vom Kölner Verwaltungsgericht bestätigt. Der Sänger legte Berufung ein. Neuer PR-Rummel scheint gesichert, das Medientollhaus giert nach genau diesem süßsaurem Moralin, als ob es da draußen, jenseits vom "Big Brother"-Dorf, noch eine Trutzburg der Ethik zu verteidigen gäbe!

Der Urteilsspruch verwundert dennoch, da fast identische, in englisch vorgetragene Texte auf MTV rund um die Uhr laufen. Der Vorwurf des Gerichts, Drogenkonsum werde in Sidos Knittelvers "ohne kritische Distanzierung als etwas Normales und Alltägliches dargestellt", mag stimmen, doch trifft das auch auf die meisten Gangsta-Rap-Songs zu, die sich über Kiffen & Koksen & Saufen auslassen. Anything goes seit Jahren - zumindest wenn der oder die "Künstler" waschechte Afro-Amerikaner sind, eine schaurig-schöne Ghetto-Vergangenheit als Grund ihrer verkorksten Psyche angeben können und eine große Plattenfirma hinter dem Schwachsinn steht. Dann drücken deutsche Gerichte ein Auge zu, und der Jugendschutz muß dem "Grundrecht der künstlerischen Freiheit" weichen.

Die Begründung, was an der Platitüde des Rap hohe Kunst sein soll, klingt ungefähr so peinlich wie das Schönreden von Graffiti-Vandalismus. Rap ist radikale Provokation und eine nicht unoriginelle Tour, um Kohle zu machen. Dagegen grenzt die Empfindlichkeit der Bonner Prüfer auf spezifisch deutschen Rap allmählich an Diskriminierung. Auch die erste, 1993 in Deutschland indizierte Hip-Hop-Platte stammte nicht etwa von rappenden Islamisten wie Professor Griff oder KRS-One, sie stammte nicht von einem bekennenden Rassisten wie Ice-T, sondern von den deutschen Alt-Punkern der Fantastischen Vier. Deren Rap über eine kaputte deutsche Patchwork-Familie ließ die Moralwächter aufhorchen, obwohl thematisch ähnliche Texte von amerikanischen "Künstlern" quasi gleichzeitig in Deutschland vermarktet wurden. Diese als authentisch beweihräucherten Expressionen der US-street culture sind und bleiben im Handel, sie stehen auf keinem Index, obwohl aus ihnen eine extrem frauenfeindliche, gewaltverherrlichende Phraseologie spricht, gegen die sich Sidos pubertäres Raunzen wie kalter Kaffee ausnimmt.

Woran liegt es also, daß zum Beispiel Kool G Rap und 50 Cent nicht indiziert werden? Daran, daß sie Farbige sind und mit der Rassismus-Keule zurückschlagen könnten? Oder ist es gar Sidos eigene Schuld - daß er nicht einsehen will, daß man ihm, einem Nachkommen der NS-Täter, eben nicht gleiches Recht einräumen mag, den inneren Schweinehund von der Leine zu lassen?

Wenn es inzwischen als normal gilt, daß die deutsche Filmindustrie immer nur harmlosen Klamauk oder peinigenden Nationalmasochismus produziert und die Literatur dieses Landes in völliger Irrelevanz vor sich hin dämmert, dann ist es nur logisch, daß sich diese kleingeistige Selbstzensur, das biedersinnige Klima des Gutmenschentums, auch auf die Jugendkultur ausdehnen muß.

In Zukunft dürfen aus Deutschland nur noch brave Buben wie Grönemeyer und Xavier Naidoo kommen - nette Flachpfeifen, die nirgends anecken, umjubelt von Spaß-Idioten, die sich im falschen Positivismus suhlen, während die wirkliche Welt vor die Hunde geht. Sicher, für den Fall Sido mag es noch eine andere Ursache geben: Die Fremdsprachenkenntnisse der Juristen sind geringer als die der Kids, die dauernd Rap-Musik hören. Und haben die Eltern eine Vorstellung welche Botschaften "Künstler" wie Ice-T und Snoop Doggy Dog verbreiten? Wahrscheinlich nicht, denn sonst würden ihnen die Haare zu Berge stehen.

Die Pop-Videos sind heute Anschauungsunterricht, daß nur drei Dinge auf der Welt zählen - Sex, Geld und Gewalt -, eine nicht gerade humanistisch orientierte Schule des Lebens also, und die allseits beklagten "amerikanischen Verhältnisse" an deutschen Schulen stehen hiermit in direktem Zusammenhang.

Warum werden diese Kultur-Importe dann geduldet? Warum findet sich im ganzen Internet keine einzige Übersetzung von Liedern wie "Hit the hooker" (Schlag die Nutte ) von Easy E. oder "Cop Killer" (Polizistenmörder) von Body Count? Die Rap-Oldies sind aggressiver als alles, was Sidos Plattenfirma Aggro Berlin in den letzten Jahren verzapft hat! Sido ist bestenfalls ein Übersetzer, als originärer Künstler ist er nur eine blasse Kopie. Wer seine Texte etwa mit denen von Public Enemy vergleicht, der ahnt, welche Dimension von Scheinheiligkeit das Kölner Verwaltungsgericht bedient.

Um Public Enemy gab es nur einmal richtig Ärger: Wortschöpfungen wie "Jew York City" und "Swindler's Lust" (als Travestie auf Spielbergs "Schindlers Liste") führten sofort zu Boykottaufrufen jüdischer Organisationen, und tatsächlich verschwanden Chuck D. und seine Jungs von der Bildfläche.

Man wird vergebens hoffen, daß das auch mit Sido passiert, denn dessen Ergüsse reflektieren kaum mehr als die Realität der Sozial-Unterprivilegierten und befürworten indirekt die von der politischen Elite begünstigte Entstehung eines Subproletariats. Das Urteil des Kölner Gerichts darf man getrost als Schuß vor den Bug junger Künstler werten, eben nicht zu vergessen, daß man als Deutscher im Kulturbetrieb nur die Rolle des Leisetreters und Duckmäusers spielen darf.


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