© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/06 24. März 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kulturnation
Karl Heinzen

Von der durchaus nationalsozialistisch geprägten Vorstellung, daß das "deutsche Volk" als eine "Abstammungsgemeinschaft" zu verstehen sei, hat sich die Bundesrepublik durch eine Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts erst in jüngster Zeit befreit. An der Fiktion, daß die Bewohner des Bundesgebietes eine "Kulturnation" darzustellen hätten, soll allerdings hartnäckig festgehalten werden. So will die hessische Landesregierung in Zukunft von Einbürgerungswilligen verlangen, ihr Wissen über die deutsche Kultur der Vergangenheit und ihr Bekenntnis zu den Werten unserer Verfassungsordnung von heute unter Beweis zu stellen.

Die Anforderungen an die Einwanderer sind dabei so hoch gesetzt, daß ihnen wohl nicht einmal ein Autochthoner mit akademischer Ausbildung, geschweige denn ein Parlamentarier ohne ausführliche Vorbereitung vollständig gerecht werden könnte. Dies legt den Verdacht nahe, daß Migranten nicht bloß dazu instrumentalisiert werden sollen, die demographische Schieflage und die daraus resultierenden Probleme unserer Sozialversicherungen zu beheben. Offenkundig haben sie auch zur Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus beizutragen. Dies zu fordern, stellt aber eine Zumutung an Einwanderer dar und überschätzt den Wert der deutschen Staatsbürgerschaft. In unserer derzeitigen Situation müssen wir die Attraktivität der Bundesrepublik als Zielland der Migration erhöhen und nicht weitere künstliche Barrieren errichten. Wir sind Bittsteller, die außer Hoffnung auf eine Besserung der maroden Verhältnisse nichts zu bieten haben.

Darüber hinaus untergräbt der hessische Fragenkatalog das Gelingen einer Integration, anstatt sie zu fördern: Wer drei deutsche Philosophen oder einen Literaturnobelpreisträger kennt und Aussagen zu Caspar David Friedrich treffen kann, verfügt damit eben über keinen Anknüpfungspunkt, um mit den Einheimischen von heute kommunizieren zu können. Sinnvoller wäre es, das Wissen der Einwanderer über die angesagten Klingeltöne, die Verästlungen von GZSZ und ViB oder die Finalisten der bisherigen DSDS-Staffeln abzufragen.

Auf jeden Fall sollte eine Diskriminierung zwischen In- und Ausländern unterbleiben. Dies wäre dadurch zu gewährleisten, daß sich auch die Autochthonen dem Fragenkatalog sozusagen als Ausbürgerungstest stellen. Wer daran scheitert, gilt fortan als Staatenloser und wird abgeschoben. Zwar wäre eine drastische Entvölkerung die Folge. Die Verbliebenen dürften sich aber wieder als eine Kulturnation begreifen.


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