© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Ab über den Deich
Schleswig-Holstein: Bau einer Zigeunersiedlung in Kiel steht vor dem Aus / Vorstandsmitglied setzt sich mit Spendengeldern ab
Jochen Arp

Es hätte ein so schönes Beispiel für Fremdenfreundlichkeit abgeben können: die von der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel geplante Errichtung einer geschlossenen Siedlung für Sinti- und Roma-Familien im Stadtteil Gaarden (JF 39/05). Wer dieses Projekt in dem damals noch von einer rot-grünen Mehrheit dominierten Stadtrat angeschoben hat, war für die heutigen mehrheitlich der CDU angehörigen Mitglieder der Ratsversammlung nicht zu erkennen. Offenbar hatten die Vorgänger dem Rat das Kuckucksei ins Nest gelegt.

Als sich kritische Stimmen in der CDU-Fraktion erhoben, wurden sie niedergebügelt mit den gängigen Angriffe von links wie von der Regionalzeitung, hier würden Vorurteile, Ressentiments, ja, Fremdenfeindlichkeit kultiviert, woraufhin die Bürgerlichen sogleich in volle Deckung gingen und allem Notwendigen zustimmten. Dazu gehörte die Gewährung eines Kommunaldarlehens in Höhe von über 100.000 Euro ebenso wie ein stadteigenes Grundstück, das mittels eines Erbpachtvertrages den Sinti- und Roma-Familien zur Verfügung gestellt werden sollte. Die neuen Bewohner wollten ihrerseits Eigenleistungen in der Höhe von 200.000 Euro aufbringen. So wurde es 2004 dargestellt. Aber die Sache kam nicht recht in Gang. Es stellte sich heraus, daß die Zigeuner-Familien allesamt Sozialhilfeempfänger waren, die wohl kaum größere Geldbeträge für den Bau ihrer Häuser aufbringen konnten. Auch bestand ein großer Teil der Sippen aus Kindern.

Aber die Initiatoren blieben optimistisch, hatte doch die Landesregierung seinerzeit noch unter Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) trotz der Tatsache, daß Schleswig-Holstein kurz davor stand, wie bereits Bremen und das Saarland aufgrund einer Haushaltsnotlage vom Tropf des Bundes abhängig zu werden, eine Förderzusage in Höhe von einer halben Million Euro gegeben.

Erbpachtvertrag noch immer nicht unterschrieben

Als nach über einem Jahr gefragt wurde, wie es dem Bauprojekt ergehe, erfuhr man, daß zwar mit den Arbeiten auf dem Baugelände bereits begonnen sei, daß aber die Sinti- und Roma-Gemeinschaft, die in Form einer Genossenschaft auftreten sollte, den Erbpachtvertrag immer noch nicht unterschrieben hatte und daß demzufolge die am Beschäftigungsprojekt Beteiligten sich noch nicht verpflichtet hatten, die Eigenhilfe in der angekündigten Höhe zu leisten. Davon unberührt verkündigte man aber, auf alle Fälle am 1. Oktober 2005 mit dem Bau zu beginnen.

Im Oktober des vergangenen Jahres war aber immer noch keine Grundsteinlegung in Sicht. Statt dessen hieß es, das ganze Projekt solle neu ausgeschrieben werden, weil es auch billiger gehe als bislang geplant. Außerdem werde dann auch der Eigenanteil der von den Sinti und Roma zu leistenden Arbeiten geringer ausfallen.

Im April 2006 solle es nun aber wirklich losgehen. Immerhin handele es sich um ein "bundesweit einmaliges Pilotprojekt". Allerdings war der Erbbaurechtsvertrag von den Sinti und Roma immer noch nicht unterschrieben. Dafür hatte aber das Ganze einen schönen Namen bekommen. Es sollte "Maro Temm" heißen, auf deutsch "Kleine Heimat".

Jetzt aber erschütterte ein Vorgang die Sinti- und Roma-Freunde: Ein Vorstandsmitglied der Zigeuner-Genossenschaft ist "mit hoher krimineller Energie und unter Ausnutzung interner Kenntnisse" mit den eingegangenen Spenden in Höhe von 28.000 Euro über den Deich gegangen. Wie das möglich war, wurde schnell geklärt: Zunächst sollte der Zugang zum Genossenschaftskonto zwei Unterschriften auf der Überweisung erfordern. Zwei Vorstandmitglieder sind aber im Laufe der Zeit aus der Genossenschaft ausgeschieden, womit deren Vollmacht erloschen war. Einem für die beiden eingetretenen neuen Vorstandsmitglied vertraute man offenbar blind. Nun ist das Geld und mit ihm das neue Vorstandsmitglied verschwunden.

Spende der grünen Ratsfraktion

Den Chef des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma, Matthäus Weiss, schmerzt besonders, daß die "unausrottbaren Vorurteile gegen Sinti und Roma aufgefrischt werden könnten". Ein Trost aber bleibt Weiss: Zwischen Kiel und Südfrankreich werde kein Sinti mehr dem kriminell gewordenen Stammesangehörigen die Tür öffnen. Besonders traurig dürfte Conrad Hansen von der Grünen-Ratsfraktion im Kieler Rathaus sein. Unter den verschwundenen Geldern befand sich eine Spende von ihm in Höhe von 1.000 Euro.


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