© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Die Woche
Auf der Suche nach den Wählern
Fritz Schenk

Auch wenn die Hälfte der Wähler bei den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag zu Hause geblieben war - in Sachsen-Anhalt waren es sogar noch mehr -, für die Regierenden hat's gereicht. Das schwarz-rote Bündnis in Berlin sieht sich durch die Wahlen gestärkt. In Baden-Württemberg bleibt alles beim alten, da läuft Schwarz-Gelb wahrscheinlich weiter, in Rheinland-Pfalz ist der stattliche Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sogar noch ein bißchen kräftiger geworden und kann nun allein regieren, und in Sachsen-Anhalt vervollständigt der redliche Landesvater Wolfgang Böhmer (CDU) den schwarz-roten Trend durch eine weitere Koalition zwischen CDU und SPD. Die Bundesoberen in Berlin sind zufrieden.

Nach Prozenten gewertet, sieht das immer ganz passabel aus. Das wäre auch nicht viel anders, wenn noch mehr von den Urnen fernblieben. Blickt man jedoch auf die absoluten Zahlen, ergibt sich ein anderes Bild. Bei 53,4 Prozent Wahlbeteiligung und 44,2 Prozent Stimmenanteil sind das für den Stuttgarter Wahlsieger Günther Oettinger und seine Christdemokraten nur noch 23 Prozent der Wahlberechtigten. Für Kurt Beck in Mainz sieht es nicht besser aus. Und Wolfgang Böhmer, in dessen Land sogar nur 44,4 Prozent zur Wahl gingen, kann sich nicht einmal auf ein Sechstel der Wahlberechtigten stützen. Er war übrigens der einzige, der am Wahlabend auf die für die Demokratie bedrückend schwache Wahlbeteiligung hingewiesen hatte.

Das Frohlocken darüber, daß die müden Wähler nicht auf Extreme ausgebrochen sind - wie zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, wo es die DVU 1998 auf über 12 Prozent gespült hatte, oder in Baden-Württemberg, wo die Republikaner einst ihre Hochburg hatten - sollte nicht zu ernst genommen werden. Die Wahlmüdigkeit drückt nämlich nur einen Teil des deutschen politischen Dilemmas aus. Viel mehr sollte vor allem die Volksparteien sorgen, daß ihnen die älteren treuen Mitglieder wegsterben, Enttäuschte der mittleren Jahrgänge das Handtuch werfen und Nachwuchs kaum gewonnen werden kann. In den Wahllokalen sah man am Sonntag fast nur alte Herrschaften, die ihren Ehrendienst als Listenführer und Stimmenzähler wie schon seit Jahren versehen. Auch da - Nachwuchs Fehlanzeige.

Vor allem die Bundeskanzlerin zeigte sich mit dem Wahlausgang rundum zufrieden und kündigte an, daß es nun mit der Reformpolitik weiter zügig vorangehen solle. In einem sind ihr zu viele Wähler am Sonntag jedenfalls nicht gefolgt, nämlich in der Würdigung all der Reformen, die sie als Erfolg ihrer ersten hundert Tage immer wiederholt: die ersten Schritte der Finanzreform, das neue Föderalismuskonzept, das milliardenschwere Konjunkturprogramm und Korrekturen an Hartz IV. Davon ist "unten" - eben beim vielgerühmten Wahlvolk - bisher nämlich kaum etwas angekommen. Und da sie selber auf die "kleinen Schritte" setzt, die Masse der Bevölkerung aber seit Roman Herzogs "Ruck"-Rede (die liegt übrigens auch schon wieder zehn Jahre zurück) längst auf große Sprünge wartet, sinkt das Vertrauen in sie und ihre Regierung von Tag zu Tag. Es muß schon viel - und das möglichst schnell - passieren, um das zurückzugewinnen. Auf Dauer wird die Hälfte der Wahlberechtigten ihren Unmut wahrscheinlich nicht in Wahlenthaltung ausdrücken. Dann gibt's wieder Bewegung an den Rändern.


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