© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Machtfaktor
Niederlande: Einwanderer gründen eigene Partei
Claudia Hansen

Als am 7. März die drei niederländischen Regierungspartei-en bei den Kommunalwahlen deutliche Verluste hinnehmen mußten und im Gegenzug die Sozialdemokraten (PvdA) und teilweise auch die postkommunistischen Sozialisten (SP) massiv zulegten, wurde der Wahlerfolg für die Linke vor allem mit den Belastungen durch die Sozialpolitik der Mitte-Rechts-Regierung erklärt (JF 12/06).

Doch die PvdA konnte zum Großteil von den neu hinzugekommenen Stimmen wahlberechtigter muslimischer Zuwanderer profitieren, denen sie eine Lockerung der Ausländerpolitik, mehr Sozialleistungen und ein Entgegenkommen in religiösen Fragen signalisiert hatte. Nach einer Studie der Amsterdamer Universität haben über 80 Prozent der holländischen Muslime die PvdA von Oppositionsführer Wouter Bos gewählt und weitere 15 Prozent für andere linke Parteien gestimmt.

Lediglich drei Prozent der Muslime in den Niederlanden haben hingegen für die Christdemokraten (CDA) von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende votiert, und gar nur ein Prozent hatte sich für seinen rechtsliberalen Koalitionspartner VVD entschieden. Kein Wunder, denn die "eiserne" VVD-Integrationsministerin Rita Verdonk fährt einen harten Kurs in der Einwanderungspolitik (JF 46/05).

Allerdings hat die rasch wachsende muslimische Bevölkerung in den Niederlanden nicht nur in Scharen die Parteien der Linken gewählt. In einigen Vierteln Amsterdams etwa stellen sie fast alle neuen PvdA-Mandatsträger. Denn die PvdA hatte zwar die Muslime auf ihren Listen eher hinten plaziert, doch die haben gezielt ihre Glaubensbrüder nach vorne gewählt. PvdA-Chef Bos erklärte dazu, er habe sich verpflichtet gefühlt so viele Einwanderer auf PvdA-Liste zu setzen, weil diese ansonsten eine eigene Partei gründen würden. Er halte eine Immigrantenpartei, der kein autochthoner Niederländer angehöre, für sehr gefährlich: "Aber wenn wir an unserer Strategie festhalten, werden wir es schaffen eine Partei zu bleiben, die die Rechte aller verteidigt."

Wouter Bos rutschte allerdings doch noch eine unbedachte Aussage heraus: Es könne Probleme geben mit den neuen muslimischen Kommunalpolitiker, da sie aus "anderen politischen Kulturen" stammten, wo "Klientelpolitik die Norm" sei, bemerkte der 42jährige sozialdemokratische Medienstar gegenüber Journalisten. Als daraufhin ein Sturm von Rassismus-Vorwürfen losbrauste, entschuldigte sich Bos pflichtschuldigst. Er sei "sehr glücklich über die große Zahl von Einwandererwählern". Auch Bos kennt den demographischen Trend. Er weiß, wo die politischen Mehrheiten von morgen sind.

Ob es allerdings 2007 überhaupt noch für eine Koalition aus PvdA, SP und den linken Grünen reicht, um so Premier Balkenende abzulösen, ist noch nicht ausgemacht: Am 22. März gründete sich die - von Bos befürchtete - erste Einwanderer-Partei, denn es sei "an der Zeit, daß die Niederlande akzeptieren, daß sich die Welt verändert hat". Die neue "Partei für allochthone Niederländer" (PAN) fordert unter anderem die Abschaffung der unter Premier Balkenende eingeführten strengen Einbürgerungstests und -Kurse. Asylanten, die über fünf Jahre im Land sind, müßten ein Bleiberecht erhalten. Zudem sollen muslimische Frauen das Kopftuch überall tragen dürfen. Die PAN rechnet mit 20 Parlamentssitzen - das ist nicht unrealistisch, schließlich machen die Einwanderer fast 19 Prozent der niederländischen Bevölkerung aus.


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