© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Boote in den Tod
Spanien: Nach Ceuta und Melilla drängen afrikanische Wirtschaftsflüchtlinge nun auf die Kanaren / Neues Tor nach Europa
Hans-Ulrich Pieper

Mit über acht Millionen Besuchern waren die Kanarischen Inseln im vergangenen Jahr eines der beliebtesten Urlaubsziele in der ganzen Welt. Geographisch gehören die zwischen dem 27. und 29. Breitengrad gelegenen sieben Atlantikinseln Teneriffa, Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma, La Gomera und El Hierro sowie etliche kleinere Eilande zu Afrika. Ihr mildes Klima garantiert das ganze Jahr über Badespaß und sonnige Erholung unter Palmen. Politisch gehören die "Inseln des ewigen Frühlings" seit dem 15. Jahrhundert zu Spanien und damit inzwischen auch zur EU.

Seit einigen Wochen ist nun aber wieder eine neue Gruppe zu den üblichen Touristenströmen hinzugekommen, die Inselbewohnern wie Gästen Sorgen bereitet: Schwarzafrikaner. Immer mehr Boote mit illegalen Einwanderern starten von der Küste Mauretaniens die etwa tausend Kilometer lange Überfahrt zu den Kanaren - und immer mehr Menschen sterben bei den waghalsigen Unternehmen.

Seit Oktober über 1.200 Menschen ertrunken

Die Bilanz einer Woche: Ein mit 45 Afrikanern voll besetztes Einwandererboot kenterte nach einem Zusammenstoß mit einem Fischkutter, der eigentlich nur helfen wollte. Wenig später kamen im selben Seegebiet bei einem zweiten Bootsunglück weitere 22 Illegale ums Leben. Ein drittes Boot wird von spanischen, marokkanischen und mauretanischen Rettungsdiensten gesucht, nachdem ein Notruf über Mobilfunk aufgefangen wurde.

Nachdem die in Nordafrika gelegenen Exklaven Ceuta und Melilla von den spanischen Behörden - dank EU-Hilfe - mit neuen Sperrzäunen dicht gemacht wurden und die Marokkaner konsequent gegen schwarzafrikanische Illegale vorgehen, diese postwendend in die Wüste abtransportieren und dort aussetzen, haben sich deren Fluchtrouten schlagartig geändert. Nunmehr gilt Mauretanien als Sprungbrett in den erhofften Wohlstand und die spanischen Kanaren als Drehscheibe nach Europa.

Der Madrider Regierungsrepräsentant auf den Kanaren, José Segura Clavell, erklärte, die jüngsten Bootsunfälle mit afrikanischen Flüchtlingen seien "keine Einzelfälle. In den vergangenen Monaten starben Hunderte von Menschen auf hoher See einen anonymen Tod". Noch höher setzt Ahmedu Uld Haye von der Hilfsorganisation "Roter Halbmond" in Mauretanien die Zahl der Opfer an: "Seit dem vergangenen Oktober sind mehr als 1.200 Menschen beim Versuch ertrunken, auf die Kanaren zu gelangen." Täglich bestiegen sieben- bis achthundert Schwarzafrikaner die zerbrechlichen Boote, mit denen Menschenschlepper die Überfahrt organisieren, so Haye.

Ganz neu ist das Schlupfloch Kanaren nicht. 2003 war bislang der Höhepunkt, in dem Jahr kamen fast 9.400 illegale Zuwanderer aus Afrika auf den Kanaren an. In diesem Jahr könnte dieser "Rekord" gebrochen werden: Bis Mitte März haben bereits über 3.500 Illegale die Überfahrt lebendig überstanden.

Nach einem von der spanischen Zeitung El País zitierten Geheimdienstbericht und laut unbestätigten mauretanischen Quellen sollen in Mauretanien insgesamt fast eine halbe Million Menschen auf dem Weg nach Europa sein.

Allein in Verstecken nahe der Küste von Mauretanien warten derzeit Zehntausende Schwarzafrikaner auf einen Platz in den Cayucos. So werden die traditionellen mauretanischen Fischerboote genannt, die jetzt für das Schleuserhandwerk verwendet werden. Sie sind besser ausgerüstet als die früher verwendeten Holz-Pateras: Die Cayucos sind größer und stabiler und verfügen über Navigationssysteme sowie meist zwei Motoren. Damit können sie längere Überfahrten bewältigen und die weniger überwachten westlichen Inseln der Kanaren erreichen.

Die bessere Ausstattung wird jedoch meist durch die Überlastung der Boote wertlos gemacht. Bis zu 50 Personen werden in die Cayucos gepfercht, die eigentlich für den Fischfang in Küstennähe gebaut wurden. Fast die Hälfte der Boote erreicht die Kanaren nicht, ihre Insassen werden immer häufiger an den Stränden der Sonnen-Inseln aufgefunden - ertrunken.

Nach Angeben des Gouverneurs der mauretanischen Stadt Nouadhibou, Yahya Uld Mohamed Fall, warten derzeit in der Gegend um die Hafenstadt etwa 12.000 Illegale, meist aus West- und Zentralafrika, auf ihre Überfahrt. Ein Teil von ihnen war im Herbst unter jenen gewesen, die über den alten Grenzzaun nach Melilla stürmen wollten. "Die Flüchtlinge sind zu allem entschlossen," schildert Uld Haye seine Erfahrungen.

Die Reise ins Ungewisse lassen sich die meist arabischen Schlepper mit 1.000 Euro pro Person gut bezahlen. Damit die modernen Sklavenhändler unerkannt bleiben, setzen sie ihre Opfer mit Drohungen unter Druck, die sich gegen zurückgelassene Familienmitglieder richten. So ist es kaum verwunderlich, daß keiner der aufgegriffenen Immigranten die Behörden unterstützt.

Um den neuen Flüchtlingsstrom zu stoppen, will Madrid nun mit Mauretanien enger kooperieren. Bislang hat die dortige Regierung nur die sofortige Rückführung von 170 illegalen Einwanderern akzeptiert, die aus den Nachbarländern Senegal und Mali stammen. In den kanarischen Auffangzentren auf Fuerteventura, Gran Canaria und Teneriffa leben derzeit über 2.000 Zuwanderer, die aber nach spätestens 40 Tagen entlassen werden müssen - wenn Mauretanien sie nicht zurücknimmt.

"Wir müssen verhindern, daß die Boote in Mauretanien ablegen. Das kann nur erreicht werden, wenn den Herkunftsländern geholfen wird", spricht Regierungsrepräsentant Segura ein großes Wort gelassen aus. Auf Nachfragen räumt der spanische Sozialist ein: "Wahrscheinlich ist es doch einfacher, die Grenzen und Küsten Europas abzuschotten."

1,6 Millionen Ausländer leben bereits in Spanien

Immerhin leben in Spanien bereits 1,6 Millionen Ausländer - und stoßen bei der einheimischen Bevölkerung keineswegs nur auf Gastfreundschaft. Die zuständigen Regionalregierungen wissen einfach nicht mehr, wo sie die unzähligen Wirtschaftsflüchtlinge unterbringen sollen. Erst wurden Militärkasernen, jetzt Schulen und Kinderheime für die Asylanten akquiriert.

In San Bartolomé de Tirajana brannte letzten Freitag ein Kinderheim mit Schule vollkommen aus, in dem am nächsten Tag 81 schwarzafrikanische Immigranten einziehen sollten, so hatte es die Regierung vorgesehen. Die Bewohner des idyllischen Bergdorfs auf Gran Canaria wollten es anders, und die Feuerwehr von Maspalomas war stundenlang im Einsatz, um eine Ausbreitung des Feuers zu verhindern.

Foto: Rotes Kreuz auf Teneriffa rettet illegale Afrikaner: "Wir müssen verhindern, daß die Boote ablegen"

Foto: Schleuserroute: Für 1.000 Euro


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