© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/06 31. März 2006

Sibirisches Öl und iranisches Uran
Rußland: Putins Besuch in China war wirtschaftlich und politisch von enormer Bedeutung / Zweite Gasleitung geplant
Wolfgang Seiffert

Schon der Aufwand war riesig: Zu der tausendköpfigen Delegation des rus-sischen Präsidenten, die ihn vergangene Woche auf seinem zweitägigen Staatsbesuch nach Peking begleitete, gehörte fast alles, was in der russischen Wirtschaft Rang und Namen hat. Präsident Wladimir Putin und andere Delegationsmitglieder unterzeichneten dabei insgesamt 29 Vereinbarungen, die nicht nur Rußland zum Hauptlieferanten für Chinas Energiebedarf machen könnten, sondern verstärkt auch andere russische Produkte auf den chinesischen Markt bringen sollen. Daß auch der russische Außenminister Sergej Lawrow dabei war, war insofern brisant, als er derzeit in New York mit den anderen Vetomächten im Uno-Sicherheitsrat über eine Erklärung zum Atomprojekt des Iran verhandelt.

Zwei Erdgasleitungen aus Rußland direkt nach China sollen den riesigen und wachsenden Bedarf dort sichern - durch Lieferung von jährlich 60 bis 80 Milliarden Kubikmeter Gas. Für den russischen Gasprom-Konzern würde dies einen zusätzlichen Jahresumsatz von neun bis zwölf Milliarden US-Dollar bedeuten.

Eine erste, teilweise schon fertiggestellte Erdgaspipeline führt von den Gasfeldern auf Sachalin in die Mandschurei. Die zweite durch das Altai-Gebirge zur chinesischen Grenze, deren Kosten auf zehn Milliarden US-Dollar geschätzt werden, soll westsibirische Gasquellen erschließen. Weitere Vereinbarungen sehen den Öl- und Stromexport von Sibirien nach China vor.

Eine über 4.000 Kilometer lange Erdölpipeline des staatlichen Betreibers Transneft soll am Baikalsee vorbei bis zur nahe Wladiwostok gelegenen Bucht Perewosnaja führen und von dort Erdöl per Schiff nach Japan und in den pazifischen Raum bringen. Eine nun vorgesehene Abzweigung soll die künftige russische Erdölleitung mit dem chinesischen Netz verbinden.

Entgegen westlichen Presseberichten, Moskau wollte entsprechenden Pekinger Wünschen nicht folgen, versicherten Putin und Lawrow, die nötige Machbarkeitsstudie komme zügig voran. Der Bau könne in den kommenden Monaten beginnen: "Wenn das Projekt durchgeführt wird, und das steht außer Zweifel, wir es einen bedeutenden Anstieg der Öllieferungen von Rußland nach China möglich machen", so Lawrow.

Rußland will künftig aber auch gelieferte Energie an Ort und Stelle mit vermarkten. Zu diesem Zweck vereinbarten der russische Erdölkonzern Rosneft und der chinesische CNPC-Konzern zwei Joint Ventures: Das eine dient der Vermarktung in China, das andere ermöglicht erstmals die chinesische Teilnahme an der Erschließung russischen Erdöls. Schließlich vereinbarte der russische Stromlieferant UES mit dem chinesischen Netzbetreiber die Lieferung von jährlich 60 Milliarden Kilowattstunden Strom nach China - angesichts der unzureichenden chinesischen Kraftwerkskapazitäten ein dringliches Anliegen Pekings. Weitere Arbeitsabkommen betreffen den Maschinenbau, die Auto- und Luftfahrtindustrie.

Probleme und begrenzte russische Lieferkapazitäten

Trotz des bei der Eröffnung des "Rußland-Jahres" in China von Staats- und Parteichef Hu Jintao und Putin verbreiteten Optimismus gibt es auch Probleme und Fragezeichen. Einerseits sind die russischen Lieferkapazitäten nicht unbegrenzt, und es ist fraglich, ob neue Erschließungen und der Bau neuer Werke immer so rechtzeitig erfolgen und auch ausreichen wird, um die Verpflichtungen der russischen Lieferanten im Inland und gegenüber anderen westlichen Abnehmern - etwa in Deutschland und in der EU (JF 38/05) - uneingeschränkt zu erfüllen. Zum anderen entstehen oft auch Umweltprobleme, etwa beim Bau der Erdölpipeline entlang des Baikalsees, des größten Süßwasserreservoirs der Erde. Schließlich könnten die Aussichten auf den verstärkten Absatz russischer Bodenschätze auch den Blick dafür trüben, daß Rußland seine eigene Industrie auf Hochtechnologie umstellen muß, bevor die Bodenschätze versiegen.

Doch ungeachtet solcher Probleme ist die weltpolitische Bedeutung der neuen Zusammenarbeit zwischen Rußland und China kaum zu überschätzen. Nicht zufällig sprachen sich beim Besuch Putins in Peking Rußland und China dafür aus, gegenüber dem Iran in der Frage der Urananreicherung weiter auf "multilaterale Kooperation" und Verhandlungen zu setzen. Sie lehnten aber Sanktionen gegen den Iran ab. Wer im Uno-Sicherheitsrat anderes erwartet hat, dem fehlt die Sicht der geopolitischen Interessen dieser Länder.

Zum ersten Mal sprach in Peking der russische Außenminister davon, daß die Bemühungen darauf konzentriert werden müßten, "das System des Atomwaffensperrvertrages vor der Zerstörung zu schützen". Das heißt im Klartext: Der Iran dürfe nicht provoziert werden, den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen (JF 10/06). So gesehen war der Besuch Putins in China auch eine weltpolitische Demonstration der Macht Rußlands und Chinas.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrte am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er verfaßte das Buch "Wladimir W. Putin - Wiedergeburt einer Weltmacht?"

Foto: Putin besucht Schaolin-Tempel: Den Iran nicht provozieren


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