© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Der Rockefeller von der Spree
Berlin: CDU kürt Friedbert Pflüger zu ihrem Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September
Markus Schleusener

Friedbert Pflüger hat ein Problem. Die Wähler in Berlin sind bislang unbeeindruckt von seinem Engagement als neuer Spitzenmann der Hauptstadt-CDU. Pflüger konnte bisher nicht punkten und liegt - trotz des Phänomens "Kanzlerinbonus" - mit 24 Prozent in den Umfragen weit hinter der SPD.

Auf dem Nominierungsparteitag der Berliner Union beschwor Parteichef Ingo Schmitt am Freitag vergangener Woche schon geradezu flehentlich die Wechselstimmung. Mit Angela Merkel als Kanzlerin gebe es eine "Aufbruchsstimmung im Land wie schon lange nicht mehr", freute sich der CDU-Landesvorsitzende. Merkel wird dann auch frenetisch begrüßt, als sie für wenige Minuten hereinschneit. Der Kanzlerin ist ihr voller Terminkalender anzusehen. Sie wirkt jetzt schon so müde wie Gerhard Schröder nach sieben Jahren im Amt. "Die CDU muß auch im Osten eine Chance haben, Volkspartei zu sein", fordert sie von ihren Parteifreunden.

Offensichtlich verfolgt die Union eine neue Strategie, um sich für alte Genossen interessant zu machen. Der Parteikonvent tagt im Babylon, einem Szenekino am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Nebenan sind die Volksbühne und die Zentrale der Linkspartei. Im Foyer prangt eine Metallplatte, die an den "antifaschistischen Widerstandskämpfer Rudolf Lunau" erinnert. Merkel spricht auf der Bühne des Kinosaals, umrahmt von zwei übergroßen Pflügerplakaten, die von der Decke bis zum Boden reichen. Das Ganze hat einen Hauch von Personenkult. Was die Chancen der Union angeht, so versucht Merkel ihren Parteifreunden Mut zu machen. Die Wähler seien immer weniger an Parteien gebunden, das nütze der oppositionellen CDU, argumentiert sie.

Pflüger lobt sie als einen, der "für Berlin ackert und die Leidenschaft hat". Danach spenden die Delegierten 125 Sekunden Applaus, bis sie vom Landesvorsitzenden gebremst werden. Die Kanzlerin entschwindet, und der eben Hochgelobte ergreift das Wort.

In seiner Rede geht der Spitzenkandidat dann auf verschiedene Berliner Themen ein. Aber nur zwei ziehen wirklich richtig gut: der Stasi-Aufmarsch in der Gedenkstätte Hohenschönhausen und die Vorgänge an der Rütli-Schule.

Das Schicksal hat der Union zwei Ereignisse in die Hände gespielt, die sofort Ovationen auslösen, wenn Pflüger nur "Rütli-Schule" oder "Hohenschönhausen" ausspricht. Bisher hatte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium einen Standardsatz, den er bei jeder Veranstaltung abspulte wie ein routinierter Marktschreier. Der Satz lautete: "Ich werde mich von niemandem in der Toleranz gegenüber fremden Nationen, Kulturen, Religionen übertreffen lassen." Pflügers Berater haben ihn offenbar überredet, den Satz lieber zu streichen. Statt dessen lautet seine Botschaft jetzt: "Es gilt Abschied zu nehmen von den multikulturellen Träumen linker Politik." Das kommt wesentlich besser an - bei der Partei und beim Wähler sowieso.

Auch das andere Thema, die Provokationen früherer Stasi-Offiziere, gibt Pflüger die Möglichkeit zu punkten. Er spricht von der SED-Diktatur, von der friedlichen Revolution. Aber auch Pflüger vermeidet es, sich allzu westlich zu gerieren. Er bedankt sich bei George Bush senior, bei dem Deutschen-Hasser Lech Walesa und bei Michail Gorbatschow. Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Papst Johannes Paul II. nennt er nicht: zu antikommunistisch, zu neoliberal, zu katholisch für einen Ort wie das Babylon.

Konfetti-Regen für den Kandidaten

Den Amtsinhaber, den der Niedersachse herausfordert, kritisiert er unzählige Male für dessen Berlin-Definition: "arm, aber sexy". "Die Menschen in den sozialen Brennpunkten in unserer Stadt können damit nichts anfangen, ja sie halten das Wowereit-Motto für zynisch", hat Pflüger herausgefunden. Der Bürgermeisterkandidat geißelt die Party-Laune, die Klaus Wowereit stets verbreitet. Seine Tête-à-têtes mit Babs Becker oder der RTL-"Dschungelkönigin" Desireé Nick hätten Arbeitsplätze gekostet, mutmaßt Pflüger. Hier liegt der größte Widerspruch in Pflügers Vorstellung: Einerseits wirft er Wowereit vor, den Stars nachzulaufen, um von ihrem Ruhm zu profitieren. Aber dann sagt er selbst Sätze wie: "Ich werde auf mein Netzwerk von Kontakten in den USA, in der arabischen Welt, in Israel, in Indien, in Polen, in Rußland und in China zurückgreifen. Ich war letzte Woche bei David Rockefeller in New York." Glaubt Pflüger wirklich, daß er den "Mann auf der Straße" für sich gewinnt, weil er bei Rockefeller war?

Er kündigt an, medizinische Untersuchungen von Kindern zur Pflicht für alle Eltern zu machen. Er will den Flughafen Tempelhof erhalten und die Videoüberwachung in Bussen und Bahnen ausdehnen. Am Ende wird Pflüger von den Delegierten nach 72minütiger Rede bei nur sechs Gegenstimmen zum Spitzenkandidaten ernannt. Das Finale ist amerikanisch organisiert: Konfettis, Pflüger neben Frau und Kind, dazu die Partei-Spitzen. Die Partei ist zufrieden, man singt die Nationalhymne.

Foto: Berlins CDU-Landeschef Ingo Schmitt applaudiert Friedbert Pflüger: Die Partei ist zufrieden


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