© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/06 07. April 2006

Calcio: Italiens Verschränkung von Politik, Geld und Fußball
Fußballrepublik AC Berlusconi
Christoph Martinkat

Wenn am 9. April über die Zusammensetzung des italienischen Parlaments entschieden wird, ist auch jener Signore am Start, der in den letzten Jahren wie kein anderer für die Verschränkung von Politik, Wirtschaft und Fußballsport steht: Silvio Berlusconi. Glaubt man den Wahlprognosen, ist ein erneuter Erfolg des amtierenden Ministerpräsidenten und seiner Partei Forza Italia nicht ausgeschlossen. In Deutschland schüttelt man ob dieser Möglichkeit verständnislos den Kopf, steht doch bereits der Name von Berlusconis Partei hierzulande für ein Tabu, an dem zu rütteln sich ausdrücklich verbietet: für die Allianz zwischen Calcio, wie der Fußball in Italien heißt, und Politik. Nichts symbolisiert diese Tatsache deutlicher als ebenjene Forza Italia, die den Schlachtruf der fußballbegeisterten Nation für ihre Squadra Azzurra auf die politische Ebene transformiert hat. Und als wäre diese Anleihe in ihrer obszönen Überdeutlichkeit allzu mißverständlich, trägt die Berlusconi-Partei dazu noch das traditionelle Azurblau der Auswahlkicker zur Schau.

Man stelle sich einmal vor: Wurstfabrikant Uli Hoeneß wäre nicht nur Bayern-Manager, sondern Bundeskanzler, seine Partei hieße "Sieg" und stände im Zeichen des deutschen Adlers. Zudem wäre der Uli kein einfacher Millionär, sondern Multimilliardär, dem neben dem Großclub Bayern München noch die Medienverwertungsrechte der wichtigsten Bundesligavereine gehörten, dazu diverse Fernsehkanäle, Rundfunkanstalten, Tageszeitungen etc. Eben dies charakterisiert das System Berlusconi, das in den Tifosi offenbar das Wahlvolk erblickt, dessen man sich unter der Zuhilfenahme des eigenen Medienmonopols nur noch zu bedienen braucht - nach dem altbewährten Muster: "Panem et circensis".

Der Signore weiß nur allzu genau, daß der Calcio für die Italiener ebenso identitätsstiftend ist wie die Existenz des alten Roms. Waren es einst die Gladia-torenkämpfe im Circus Maximus, die die Massen in ihren Bann zogen, sind es heute die Fußballkämpfe zwischen Mailand, Turin und Rom. Berlusconi hat dieses Phänomen auf seinem Weg zum Ministerpräsidenten stets fest im Blick gehabt und sich folgerichtig einen der wichtigsten Fußballklubs des Landes einverleibt: den AC Mailand. Erst kürzlich mußte Bayern München beim 1:4-Debakel in der Champions League erfahren, was den Verein von einem Champion wie Milan wohl auf ewig trennen wird. Es ist Berlusconis Geld, denn Geld, das weiß man auch hierzulande, schießt bekanntlich Tore, und Tore öffnen die Herzen.

Lektüre zum Panoramabild des italienischen Fußballs

Wer näheres über die bizarre Verschränkung von Calcio und Politik erfahren will, über geheime Absprachen und illegale Wetten, grandiose Fußballer und ihre Mythen, über die Politisierung der Fankurven und die armen Klubs aus der Provinz, dem sei zur Lektüre das Werk "Calcio. Die Italiener und ihr Fußball" der Journalistin und Italien-Expertin Birgit Schönau empfohlen. In Aufbau, Argumentation und Stil überzeugend, gelingt es der Autorin, Brücken zu schlagen von der Fiat-Dynastie Agnelli in Turin, die den aufstrebenden Calcio für sich wirkungsvoll zu nutzen wußte, über den vergeblichen Versuch des Unternehmers Achille Lauro, eines Mussolini-Freundes, den SCC Neapel mit dem genialen Diego Maradona zum italienischen Meister zu machen - bis hin zur jüngsten Pleitewelle im italienischen Fußball, in deren Ergebnis kleinere Traditionsvereine wie Como und Ancona geopfert wurden, um die größeren, weit mehr Fan- und Wählerpotential versprechenden, etwa Florenz und Parma, mit Hilfe Berlusconischer Notverordnungen zu retten.

Einen Fußballklub in Italien zu führen, das war und ist eine paternalistische Angelegenheit, doch verschwinden zusehends jene Figuren, welche die Qualität des Calcio nicht einzig am sportlichen Erfolg messen. Vom verstorbenen Gianni Agnelli, dem letzten bedeutenden Sproß der Fiat-Familie, ist eine Anekdote überliefert, die diesen Umstand illustriert: Agnelli verehrte die Spielweise seines Schützlings Del Piero so sehr, daß er ihm den Namen des Renaissancemalers Pintturichio gab. Als der Spieler dann ein Jahr lang nicht mehr traf, taufte Agnelli ihn um, in Godot. Sein Kommentar: "Auf den müssen wir warten, aber wir warten nicht ewig." Verehrung, Bildung, Witz und Geduld gehörten seinerzeit offenbar noch zum Geschäft. Bei Berlusconi klingt das schon anders, etwa beim Besuch des Heiligen Vaters: "Wir exportieren beide eine siegreiche Idee in die Welt. Sie das Christentum, ich den AC Mailand." - Na dann, Silvio.

Foto: Forza Politica: Noch applaudiert Berlusconi seiner Allmacht. Nach dem 9. April könnte das anders aussehen

Birgit Schönau: Calcio. Die Italiener und ihr Fußball. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, Tb., 208 Seiten, 7,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen