© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Kolumne
Mut der Verzweiflung
Rolf Stolz

Als Mahatma Gandhi (bereichert um Erfahrungen mit dem dortigen burisch-britischen Rassismus) 1915 aus Südafrika nach Indien kommt, ist das Land von Fremden besetzt. Als er stirbt, ist Indien frei. Dazwischen liegen Jahrzehnte eines zähen, freundlich-unerbittlichen Befreiungskampfes, der sich auf die stille Kraft des Volkes und der Massenmobilisierung verließ. Nun ist Deutschland keine Kolonie. Ein freies Land, in dem das deutsche Volk sein Schicksal selbst bestimmt, ist es allerdings auch nicht.

Äußere Mächte - der große Patron und Oberfreund USA, die Brüsseler Bürokratie, weltweit agierende Finanzkartelle, die eher Arbeitnehmer als Arbeitgeber sind - diktieren den Berliner Hausmeiern den Kurs. Und innenpolitisch machen sich, oft in das dürftige Lügengewand der armen Opfer-Minderheit gehüllt, Machtgruppierungen breit, die von ihren privaten Klein-Staaten aus nach und nach die Deutschland-AG übernehmen wollen. All das gibt Anlaß zur Verzweiflung und stärkt den Mut der Verzweiflung. Wie die Männer des 20. Juli 1944 müssen auch wir mit dem Rücken zur Wand hoffen und handeln, weil ein inneres und höheres Gesetz es befiehlt - gleichgültig, was wird.

Wir stecken nicht in Gandhis Sandalen, Indien ist weit weg - aber von dem indischen Beispiel zu lernen, wird uns weiterhelfen. Zuallererst müssen zwei Haltungen bekämpft werden: erstens die kurzschlüssige Ungeduld, die auf sofortiges Zurückschlagen mit den gleichen Mitteln setzt, und zweitens die selbstmitleidige Hoffnungslosigkeit, die sich gelegentlich zeigt, wenn etwa Problemstadtteile wie Berlin-Kreuzberg oder Köln-Chorweiler als endgültig verloren erklärt werden. Nein, keine Handbreit Terrain ist auf ewig fort und keine Handbreit Terrain - im unmittelbaren wie im übertragenen Sinn - sollten wir auf Dauer aufgeben. Aber nicht alles ist sofort zu haben, manchmal führen nur Rückzüge und Umwege weiter, müssen erst die Auffangstellungen stabilisiert und die Kräfte für den Gegenangriff gesammelt werden. Gewaltphantasien und Verschwörer-Spielchen führen da nur in die Irre. Was hilft, sind gezielte Aktionen, die der schweigenden Mehrheit ermöglichen, das zeitweilig Verlorene zurückzuholen, zu Worte zu kommen und ihre Stärken einzusetzen - die noch bestehende zahlenmäßige Überlegenheit, das unverlierbare geistige Erbe vieler Generationen. Die Landesverteidigung gegen innere und äußere Feinde, die Wiedergewinnung unseres Landes als unser Land - das ist notwendig. Jetzt und immer.

 

Rolf Stolz ist Mitbegründer der Grünen und lebt als Publizist in Köln.


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