© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Randständig
Der Zusammenbruch der israelischen Rechten
Yoav Akiva Sapir

Das Wählervotum war eindeutig: Der Likud, die bisherige Regierungspartei Israels, die seit 1977 mit zwei kurzen Unterbrechungen den Staat geführt hat und bei den Wahlen 2003 mit 31 Prozent noch klar stärkste Kraft war, ist auf zehn Prozent abgesunken. Die 1973 von Ariel Scharon unter der Führung Menachem Begins zusammengeschlossene Mitte-Rechts-Partei landete mit zwölf Sitzen auf dem Niveau ihrer einstigen kleinen Koalitionspartner wie etwa der orthodoxen Schas-Partei. Die "CDU Israels" ist nicht nur keine Regierungspartei mehr, sondern gleichzeitig zu einer randständigen Nebenfigur in der israelischen Politik geworden.

Die Gründe dafür liegen nicht allein im erfolgreichen Antreten der von Scharon 2005 neu gründeten Kadima-Partei (JF 13/06), die noch ohne Basis ist und dennoch künftig die Regierung führen wird. Diese nur scheinbar überraschende Entwicklung hat vor allem tiefe historische Ursachen. Der klassische Zionismus entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus und die damit zusammenhängende Enttäuschung über gescheiterte Assimilationsversuche in die europäische Gesellschaft. Der Zionismus zielte im Grunde genommen auf eine andersartige Assimilation - die des Judentums als solchem. Dessen "Normalisierung" sollte es zu einer säkularen Nation nach abendländischem Muster werden lassen, welche daraufhin in die aufgeklärte Völkerfamilie aufgenommen würde. Dementsprechend sollte der jüdische Nationalismus nur eine Zwischenphase auf dem Wege zur Universalisierung bilden. Daher rührt auch der zionistische Wunsch nach Frieden, denn der immerwährende Kriegszustand hindert den Juden an der erstrebten Assimilation, das heißt daran, die Last seiner Abgesondertheit wegfallen zu lassen und endlich zum neuen und freien Menschen - dem Israeli - zu werden.

Daher wird das ganze Spektrum der israelischen Politik vom Friedensmythos beherrscht: Der israelische Wähler kann folglich immer nur wählen, wie der assimilatorische Frieden zu erstreben ist; ob er überhaupt erstrebenswert ist, darf noch gar nicht in Frage kommen. In den letzten Jahrzehnten haben die meisten Wähler versucht, der ausgesprochen assimilatorischen Linken standzuhalten. Aber dabei ist die Rechte von Anfang an das schwächere Glied gewesen: Weil die Rechte die gedankliche Grenze des zionistischen Friedensmythos nicht zu überschreiten vermochte, konnte sie auch keine echte Alternative zur Linken bilden, sondern deren Initiativen höchstens verzögern. Daher waren es oft rechte Politiker (Begin, Schamir, Netanjahu, Scharon), welche die von der Linken gesetzten Ziele letzten Endes in die Tat umgesetzt haben.

Dies haben die israelischen Wähler im Sommer 2005 anläßlich der widerstandslosen Räumung der Siedlungen im Gaza-Streifen und Nordsamaria nun erkannt. Da ihnen aber auch nachher keine Alternativen angeboten wurden, haben die meisten Wähler die israelische Rechte zu einer Randfigur im zionistischen Staatswesen herabgesetzt - was sie tatsächlich von jeher gewesen ist.

Sollte sich aber der versprochene Frieden auch weiterhin als trügerisch erweisen, könnte aus den Ruinen der Rechten eine echte Alternative entstehen, die dem israelischen Wähler dann statt des selbstzerstörerischen, weil assimilatorischen Zionismus eine urjüdische Zukunftsvision anbietet.

 

Yoav Akiva Sapir ist israelischer Historiker und Politologe und lebt in Jerusalem.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen