© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Schalten und walten wie in der DDR
Energiepolitik: Weder der deutsche noch der EU-Gipfel brachten substantielle Ergebnisse / Gefahr für Versorgungssicherheit
Dirk Fischer

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem guten Start. Auf dem sogenannten Energiegipfel im Kanzleramt wollten letzte Woche Vertreter der Regierung, die Spitzen der Energiekonzerne und einiger industrieller Energieverbraucher ergänzt durch einen Gewerkschafter und eine Verbraucherschützerin ein energiepolitisches Gesamtkonzept bis 2020 auf den Weg bringen. Dieses erste Treffen, dem im September das nächste folgen soll, brachte die Zusage der konventionellen Stromwirtschaft, bis 2012 insgesamt 30 Milliarden Euro in neue Kraftwerke und Netze zu investieren.

Dieses Versprechen ist aber nicht neu, und die Investitionen sind zum Teil sowieso unvermeidlich, wie zuletzt die abgeknickten Strommasten gezeigt haben. Bis zu 40 Milliarden Euro versprachen die Erzeuger umweltfreundlicher erneuerbarer Energien. Doch davon sind 16 Milliarden Euro Subventionen an Solar- und Windkraftbetreiber, welche die Kunden über ihre Stromrechnung zahlen. Die schwarz-rote Bundesregierung sagte zu, die Mittel für die Energieforschung bis 2009 um 30 Prozent zu erhöhen, das entspricht zwei Milliarden Euro. Getreu dem Motto: "Wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis" wurden drei Arbeitsgruppen mit dem Auftrag gebildet, den nächsten Gipfel im Herbst vorzubereiten.

Streit um die Restlaufzeiten der deutschen Kernkraftwerke

Das Thema Atomausstieg wurde im Vorfeld am meisten diskutiert, obwohl es nach dem Willen Merkels eigentlich nicht auf der Tagesordnung des Energiegipfels stehen sollte. Angeblich hat man 25 Minuten darüber gesprochen. Die Energiekonzerne und Teile der Union wollen die vereinbarten Restlaufzeiten der Kernkraftwerke verlängern. Die SPD hält am Atomausstieg fest.

Tatsächlich entsteht durch den sinkenden Anteil der Kernenergie bei der Stromerzeugung eine Angebotslücke. Ob die umweltfreundlichen erneuerbaren Energien diese mittelfristig füllen können, bleibt fraglich. Der Einsatz von Kohleenergie verbietet sich dagegen aus Klimaschutzgründen. Auch wenn RWE auf dem Gipfel den Bau eines Kohlekraftwerks mit Kohlendioxidabscheidung bis 2014 angekündigt hat, so wird dies insgesamt doch nicht ausreichen.

Bleibt die Erhöhung des Gasanteils. Damit begibt sich Deutschland aber in eine noch größere Abhängigkeit von Rußland, dessen Anteil an den Gasimporten auf 70 Prozent steigen würde. Hier braucht man nur an die Auswirkungen des Gasstreits mit der Ukraine zu denken (JF 2/06). Zudem sind wegen der weltweit wachsenden Nachfrage Preissprünge zu erwarten, und Kapazitätsengpässe könnten dazu führen, daß teures Flüssigerdgas per Schiff eingeführt werden müßte, wie eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey zeigt. Hohe Energiekosten gefährden wiederum die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas gegenüber den nicht an das Klimaschutzprotokoll von Kyoto gebundenen USA. Insgesamt besteht also ein Zielkonflikt zwischen den klassischen energiepolitischen Zielen Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit. Das führt laut McKinsey dazu, daß entweder beim Klimaschutz oder beim Atomausstieg Kompromisse gemacht werden müssen. Es ist der rot-grünen Bundesregierung anzulasten, daß außer der Hoffnung auf erneuerbare Energien offensichtlich überhaupt kein Konzept für den Ersatz der Atomenergie vorliegt.

Aber auch der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke hilft nicht wirklich aus dem Dilemma. Das Freiburger Öko-Institut rechnet mit zusätzlichen jährlichen Gewinnen von 300 Millionen Euro pro AKW. Das würde das Oligopol auf dem deutschen Strommarkt verfestigen, der faktisch von nur vier Anbietern dominiert wird: RWE, Eon, Vattenfall und ENBW. Sinkende Preise sind so wohl kaum zu erwarten.

Die Linksfraktion im Bundestag fordert daher schon die Verstaatlichung der Energienetze. Diese müßten in öffentliche Obhut zurückgeholt werden, erklärte Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Maurer letzte Woche. Nötig sei eine "Preisregulierung", die Kunden würden von den privatisierten Ex-Staatskonzernen "abgezockt". Denn das Geld der Verbraucher wandere direkt in Taschen der Aktionäre, so der Ex-SPD-Politiker.

Doch an steigenden Energiepreisen führt wegen der weltweit zunehmenden Nachfrage auf Dauer kein Weg vorbei. Wegen des fehlenden Wettbewerbs liegen aber die Strompreise in Deutschland weit über den Erzeugungskosten. Solange Energiepolitik in Klüngelrunden wie dem Energiegipfel gemacht wird, ist es unwahrscheinlich, daß man sich wieder auf den ordnungspolitischen Kern besinnt: die Schaffung echter marktwirtschaftlicher Strukturen. Staatliches Handeln wäre dann nur bei Marktversagen, bei der Kontrolle der natürlicher Monopole der Energieversorgungsnetze und bei negativen (Umweltschutz) und positiven (Forschung) externen Effekten nötig. Statt dessen "schaltet und waltet man wie in der DDR", kritisierte der Chef der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette.

Diese Verquickung nationaler "Champions" mit der Regierung auf Kosten der Verbraucher ist auch bei den EU-Nachbarn nicht anders. Das zeigen die jüngsten Abschottungsversuche Frankreichs und Spaniens gegenüber Markteintritten europäischer Energiekonzerne. Wegen nationaler Interessen wurde auch auf dem letzten EU-Energiegipfel in Berlin der Vorschlag der EU-Kommission für eine gemeinsame Energiepolitik abgelehnt. In diesem Fall muß man aber trotzdem sagen zum Glück, denn es wurden - typisch EU-Bürokratie - gleich zwei neue Behörden vorgeschlagen, eine für die Wettbewerbsregulierung, die andere für die Beobachtung der Energieversorgung. Weiterhin waren teure Effizienzprogramme und Subventionen geplant.

Letzteres und nicht viel mehr ist allerdings auch vom angekündigten deutschen energiepolitischen Konzept zu erwarten. Wann setzt sich endlich die Erkenntnis durch, daß Lösungen in solchen Runden immer auf Kosten derjenigen gefunden werden, die dort nicht oder nur schwach vertreten sind?


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