© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Jeder gegen jeden
Kino: "Running Scared - Renn oder stirb" von W. Kramer
Claus-M. Wolfschlag

Paul Walker gehört zu den Shooting-Stars des amerikanischen Actionkinos. Vor allem in B-Filmen der gehobenen Kategorie darf der schöne 32jährige Kalifornier den good guy spielen. Sein Durchbruch kam 1998 in der sanften Mediensatire "Pleasantville", seitdem ging es steil bergauf in den B-Himmel ("The Fast and the Furious" 2001, "Into the blue" 2005).

In Wayne Kramers Actionkrimi "Running Scared - Renn oder stirb" darf Walker erstmals einen Bösewicht spielen. Joey Gazelle ist nämlich ein Handlanger für die Mafia und soll nach einer wüsten Schießerei mit korrupten US-Polizisten einige Tatwaffen verschwinden lassen. Durch eine Unachtsamkeit kommt Joeys kleiner Nachbarsjunge Oleg (Cameron Bright) in Besitz eines der Revolver, bevor er ausreißt. Da ihm seine Mafia-Kollegen sowie der zwielichtige Cop Rydell (Chazz Palminteri) im Nacken sitzen, bleibt Joey nicht viel Zeit, Oleg und die Waffe zu finden, bevor das Beweismittel in die Hände der Polizei gerät. Es wird sowohl für Joey wie für den Jungen eine Odyssee durch die Nacht, inklusive Begenungen mit einem ganzen Panoptikum abartiger Gestalten.

Die von Kramer gezeigte skurrile, bisweilen surreal anmutende Großstadthölle ist bevölkert von widerlichen Figuren. Man begegnet brutalen und scheinbar geisteskranken Russen, ehrlosen Polizisten, schwarzen Crack-Dealern, schmierigen Latinos, einem schrill auftretenden Zuhälter sowie einem perversen Päderasten-Pärchen. Alle Akteure sind allerdings zu überzeichnet dargestellt, als daß sie noch glaubhaft erscheinen können. Man fühlt sich vielmehr an Comic-Figuren erinnert.

Doch Kramer bleibt auf halbem Weg stecken, geht er doch keineswegs so weit in der Absurdität wie etwa Terry Gilliam ("Brazil") noch in der Ästhetisierung wie Robert Rodriguez ("Sin City"). Kramer bleibt "unterhaltsam", aber letztlich unentschlossen. Vom Humor, der ironischen Brechung von Gewalt, wie sie bei Quentin Tarantino ("Pulp Fiction") zu finden ist, braucht man gar nicht erst reden.

Formal ist Kramers Werk an die letzten Filme Tony Scotts ("Domino") angelehnt. Schnelle Schnitte, Kolorierung, Rück- und Überblendungen verleihen dem Streifen eine höchst artifizielle Optik, eine teils bedenkliche Ästhetisierung der Verbrecherwelt.

"Running Scared" zeigt allerdings mit erbarmungsloser Konsequenz eine Welt abstoßender sozialer Kälte. Menschenverachtende Gewalt scheint das Leben in dieser Gesellschaft zu prägen. Väter quälen ihre Kinder, die wiederum nur darauf warten, wann sie ihre Peiniger um die Ecke bringen können. So erzählt Joey voller Stolz dem Nachbarsjungen, der soeben auf seinen Stiefvater geschossen hat, wie er selber vor Jahren den eigenen Vater zum Krüppel geschlagen habe. Mütter begehen derweil Selbstmord.

"Running Scared" zeigt die kriminelle Entartung eines inhumanen Liberalkapitalismus zum sozialdarwinistischen Kampf aller gegen alle. Sicherlich finden sich in dem Streifen US-patriotische Bekenntnisse, wird John Wayne als Chiffre für das bessere, moralische Wesen benutzt. Doch hier werden keine konservativen oder staatsautoritären Konzepte bemüht, die das gezeigte Chaos ja womöglich stark lindern dürften, sondern die völlige Enthemmung des bindungslosen Individuums.

Daß Joey sich am Ende doch wieder als "good guy" darstellen darf und das Landleben im Schutz der trauten Kleinfamilie genießen kann, dürfte vor allem dem steten Wunsch des amerikanischen Publikums nach einem Happyend geschuldet sein.

Foto: Oleg (C. Bright), Ivan (J. Noble)


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