© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006

Ein Brioni-Mann hakt sich unter
Ex-Staatsminister Julian Nida-Rümelin rettet den Sozialstaat, wenn auch erst einmal theoretisch
Oliver Busch

Der heute als Ordinarius in München Politische Theorie und Philosophie lehrende Julian Nida-Rümelin war einst Kultur-Staatsminister in der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer. Dort muß der wie sein Kanzler gern als "Brioni-Mann" verspottete smarte Intellektuelle einen heftigen Praxisschock erlitten haben, denn seine Amtszeit war kurz. Zurück im Elfenbeinturm kann Nida-Rümelin darum wieder ungestört am Modell einer politischen Welt basteln, wie sie sein soll.

Menschen erscheinen in diesem Modell als Homunkuli, weitgehend entleibt, als "Vernunftwesen". Gut kantisch spult Nida-Rümelin den bekannten Faden ab: Als Vernunftwesen gehorcht der Mensch nur sich selbst, mithin ist er frei. Frei sein heißt aber nicht, willkürlich handeln, sondern nach verallgemeinerbaren Maximen. Daraus folgt, die Freiheit anderer achten zu müssen. Denn im Interesse meiner eigenen Freiheit kann ich nicht wollen, daß etwaige eigene Gelüste, andere zu knechten, zum allgemeinen Gesetz erhoben werden. Aus der Freiheit des Vernunftwesens ergibt sich also die wechselseitige Anerkennung der Individuen als Gleiche. "Freiheit und Gleichheit" sind somit seit der Aufklärung die "Grundnormen der sich herausbildenden europäischen Demokratie".

Soweit unsere Wirklichkeit, die kontinentaleuropäischen Gesellschaftssysteme, sich seit zweihundert Jahren an diesen idealen "Grundnormen" mehr schlecht als recht orientiert hat, ist der "Sozialstaat" dabei herausgekommen, der momentan in Deutschland auf "Hartz IV" schrumpft und in Frankreich die ihn verteidigenden Massen zum letzten Gefecht auf die Straßen treibt. Auch Nida-Rümelin hakt sich hier unter, natürlich eher vornehm virtuell, als fremdwortgewappneter Ritter des Geistes im Kampf für "Freiheit und Gleichheit" (Zeitschrift für Politik, 1/2006).

Kommunisten und Libertäre als ideologische Hauptfeinde

Die ideologischen Hauptfeinde seiner "Grundnorm"-Doppelhelix sind schnell ausgemacht. Zunächst die üblichen Verdächtigen, die entweder Freiheit auf Kosten der Gleichheit fordern, die "Libertären", sowie deren Antipoden, die Kommunisten, die der Gleichheit Priorität einräumen. Mit den kommunistischen Geschichtsverlierern, deren Massenexperimente, von Albanien bis China ausgeführt, die Freiheit offenkundig zum Verschwinden brachten, gibt sich Nida-Rümelin nicht lange ab.

Die "Libertären" und ihr Ideal des Nachtwächterstaates sind letztlich genauso durch die Praxis widerlegt. Denn wenn Menschen sich zusammenschließen, um ihre individuelle Freiheit zu sichern, so ist historisch stets mehr entstanden als nur eine minimale politische Ordnung, die sich als "Staat" auf Schutzfunktionen beschränkt hätte. Theoretisch, so Nida-Rümelin, sei überdies nicht zu begründen, warum sich Menschen nur zu Schutzgemeinschaften, nicht auch zu Sozial- oder Bildungsgemeinschaften zusammenschließen sollen. Die "Libertären" bewiesen also nicht, was sie vorgeben beweisen zu können, "nämlich daß jede über den liberalen Nachtwächterstaat hinausgehende staatliche Ordnung Locke'sche Individualrechte verletzt".

Doch die wirklich gefährlichen Feinde, die das "normative Fundament der politischen Moderne, die Verkoppelung von Freiheit und Gleichheit im Kantischen Sinne" unterhöhlen, sind für ihn weder Kommunisten noch Libertäre, sondern die mit ihren Konzeptionen die praktische Politik höchst erfolgreich infiltrierenden "Non-Egalitaristen". Ihnen traut Nida-Rümelin nicht weniger zu, als daß sie den "humanistischen Kern" der "europäischen Demokratie" zerstören wollen.

Die "Non-Egalitarier" und ihr Weg zurück zum Armenrecht

Die Namen ihrer Protagonisten, Harry Frankfurt, Derek Parfit, Avishai Margalit, Michael Walzer und die ihrer akademischen Wirkungsstätten könnten eingefleischten Verschwörungstheoretikern das Phantasma einer intellektuellen Achse des Bösen zwischen New York und Jerusalem vorgaukeln. Doch so plump ist den "Non-Egalitariern" nicht beizukommen. Nida-Rümelin, der mühelos die "Libertären" als Ideologen der durch Reagan und Thatcher repräsentierten Machtkomplexe identifiziert, schweigt sich aber konsequent darüber aus, welchem "Interesse" denn die "Erkenntnis" dieser Theorieformation folgt, wessen Geschäft die Frankfurt & Co. besorgen, gegen die er die schwerwiegende Anklage erhebt, "intellektuelle Begleiter des großen Abbruchunternehmens Europäischer Sozialstaat" zu sein.

So erschöpft sich seine Verteidigung der "Gleichheit" im Nachweis blinder Flecken, Denkfehler und bewußter Täuschungen in der Argumentation der Non-Egalitarier, die anders als die Libertären nicht offen erklären, "Gleichheit" sei unvereinbar mit Freiheit, sondern sie durch die vage Aussicht auf "Solidarität" ersetzen wollen. "Solidarität" gestehe höchstens "Mindestbedingungen eines menschwürdigen Lebens" zu, die Ermessensspielraum für Korrekturen nach unten gestatten. Damit werde aber der Zusammenhang von Gleichbehandlung und Gleichverteilung gelöst. Das bedeute einen großer Schritt zurück vom Sozialstaat zur vorrevolutionären "Armenhilfe", zur "Tradition des Armenrechts".

Das ist trefflich analysiert. Doch was besagt das gegen die Macht des Faktischen, der die Non-Egalitarier ihre Stimme geben? Allenfalls, daß Professor Nida-Rümelin die "gleiche Autorschaft des eigenen Lebens über alle unterschiedlichen existentiellen Lagen hinweg" noch so lange folgenlos einfordern kann, wie die seine "Autorschaft" materiell gesichert bleibt.


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