© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Nationalstaaten in Gefahr
Andreas Mölzer

Die Globalisierung würde allen nützen, behauptete der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser am Rande eines informellen EU-Ministerratstreffens. Daher müßten selbstverständlich Privatisierungen und Liberalisierungen in Europa weiter vorangetrieben werden. Und Protektionismus sei in der Globalisierungsdebatte "nicht die richtige Antwort".

Dies zeigt erneut, was die heutige EU ist: ein Projekt des Marktes, geschaffen für internationale Konzerne. Für die Menschen, die zu Konsumenten degradiert werden, ist in dieser EU ebensowenig Platz wie für die Nationalstaaten als Träger der historischen und kulturellen Identität Europas. Die europäische Integration, die eigentlich die Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Völker in einem Bund freier Staaten nicht nur bewahren, sondern bewußt weiterentwickeln soll, wurde durch das Syndikat von Brüssel, ein Vollzugsorgan der Welthandelsorganisation WTO, ersetzt.

Die Auswirkungen der Globalisierungspolitik sind unübersehbar: Massenarbeitslosigkeit, der Niedergang ganzer Landstriche und soziale Entwurzelung sind Phänomene, die sich quer durch Europa beobachten lassen. Anstatt gegenzusteuern, versucht das EU-Polit-Establishment, eine Wanderungsbewegung von Billigarbeitskräften in die alten EU-Länder in Gang zu setzen.

Nicht anders ist ein aktueller Beschluß des EU-Parlaments zu verstehen, mit dem unter anderem Deutschland und Österreich aufgefordert werden, ihre Arbeitsmärkte so rasch wie möglich für Bürger aus den zehn EU-Erweiterungsländern zu öffnen. Daß Berlin und Wien zu den Super-Zahlmeistern in der EU zählen, reicht offenbar noch nicht aus. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer in diesen Ländern, die mit ihren hart erarbeiteten Steuermilliarden die EU-Nettobeiträge finanzieren, nun auch noch einer ruinösen Billigkonkurrenz aus den Erweiterungsländern ausgesetzt werden.

Nicht minder schwer sind die Auswirkungen der Globalisierung auf die Nationalstaaten. Zum einen wird aufgrund der voranschreitenden sozialen Entwurzelung der Menschen der gesellschaftliche Zusammenhalt immer brüchiger. Zum anderen beschleunigen sogenannte freie Märkte, deren Bedarf an billigen Arbeitskräften es zu decken gilt, die Massenzuwanderung aus der allen Teilen Dritten Welt nach Europa. Dadurch drohen die historisch gewachsenen Ethnien Europas durch eine amorphe Masse, den "One World"-Einheitsmenschen, ersetzt zu werden.

Um eine ethnisch-kulturelle Nivellierung des alten Kontinents zu verhindern, darf Europa nicht in den Diensten der WTO stehen. Europa muß stattdessen ein Bollwerk gegen die Globalisierung und die Auswüchse des Liberalismus sein. Dies erfordert insbesondere den solidarischen Kampf der europäischen Völker gegen die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung. Ebenso gilt es, die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit und Grundversorgung Europas zu gewährleisten.

Und schließlich müßten, anstatt ständig nach einer noch stärkeren finanziellen Belastung der Nettozahler zu rufen, all jene, die aus der Globalisierung riesige Gewinne ziehen, also die internationalen Konzerne und die Hochfinanz, zur Zahlung eines Solidarbeitrages verpflichtet werden.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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