© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Neue Untergangsszenarien
Diesmal ist es nicht gleich das Abendland, aber der deutsche Mittelstand: eine Polemik von Wolfgang Münchau
Gernot Schmidt

Wolfgang Münchau geriert sich als Revolutionär. In seinem Buch "Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft" stellt er die These auf, die Soziale Marktwirtschaft sei reformunfähig, versage daher angesichts der Globalisierung und sei somit zum Scheitern verurteilt. Dies liege an den antiquierten Denkmustern, vor allem der Konservativen. Einen weiteren Schwachpunkt macht er im deutschen Mittelstand aus, weil dessen Unternehmen über eine zu schwache Eigenkapitaldecke verfüge, weil er mit Sparkassen und Volksbanken verfilzt sei und mit Regionalpolitikern Kumpanei betreibe. Deshalb steuere die deutsche Wirtschaft auf einen unaufhaltsamen, aus seiner Sicht gleichwohl wünschenswerten Zusammenbruch zu. Denn nur aus diesem könne die Wirtschaft gleichsam in geläutertem Zustand wie ein Phönix aus der Asche zu neuem Leben erstehen. Womit denn auch der Inhalt des Werkes weitgehend, wenn auch grob, umrissen ist.

Naturgemäß stieß Münchau beim Mittelstand und in der Politik auf heftige Kritik. Ihm wurde entgegenhalten, daß die etwa 3,4 Millionen Unternehmen, die zum Mittelstand gezählt werden, siebzig Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen und 82 Prozent der Lehrlinge ausbilden. Diese Fakten werden Münchau allerdings nicht interessieren, da er diese sie wohl als Folge unzulässigen staatlichen Schutzes ineffizienter mittelständischer Unternehmen werten würde. Wobei er allerdings bekennt, gar nicht definieren zu können, was "Mittelstand" überhaupt bedeutet. Denn hierzu gebe es nirgendwo auf der Welt eine Entsprechung. Außerdem will Münchau ja, da Reformen seines Erachtens nicht genügen, revolutionäre Veränderungen durch eine "grundsätzliche Systemkritik" lostreten. Der informierte Laie wird allerdings bei der Lektüre mit einer gewissen Verwunderung feststellen, daß neben Münchaus Revolutionsbajonett die Narrenkappe liegt.

Als Mitbegründer und zeitweiliger Chefredakteur der Financial Times Deutschland und derzeitiger Associate Editor der Financial Times Limited wäre es Münchau eigentlich zuzutrauen gewesen, daß seine Ausführungen ein Niveau erreichen, wie es einem Studenten üblicherweise vor der Teilnahme an der Zwischenprüfung im Studiengang Wirtschaftswissenschaften abverlangt wird.

Dabei widerspricht sich der Autor bereits in der Einleitung. Er hält es für einen Fehler, Wirtschafts- und Sozialsystem "in einen Topf zu schmeißen", um zwei Seiten weiter zu vermelden, die Probleme lägen "nicht in unserem Sozialstaat" begründet. Das wäre kein Widerspruch, wäre das, was er durchgängig als "Sozialstaat" bezeichnet, nicht der "Wohlfahrtsstaat". Diese Verwechslung ist wohl keine dialektische Finte, da sich solche Ungenauigkeiten über 221 Seiten hinziehen.

Münchau versteht und verwendet die Bedeutungen von Begriffen in jener verkorksten Form, die in Politik und am Stammtisch heute leider zwar üblich geworden, einem halbwegs seriösen Diskurs aber nicht angemessen sind. Nur so ist es verständlich - gleichwohl nicht akzeptabel -, daß er das aktuelle deutsche Wirtschaftssystem für "Soziale Marktwirtschaft" hält. Er geht fälschlicherweise von einer ungebrochenen Entwicklungslinie aus, die von 1948 bis 2006 reicht.

Er hat nicht bemerkt, daß der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" inzwischen nur noch eine Leerformel ist. Es ist nun einmal so, daß die Soziale Marktwirtschaft im Erhardschen Sinne unter Fachleuten bereits als tot gilt - und zwar seit der Verabschiedung des "Stabilitätsgesetzes" im Jahr 1967. Von diesem Zeitpunkt an ist es angebrachter, von einem dirigistischen System zu sprechen, das sich stetig hin zu einer Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Einsprengseln entwickelt hat.

Münchau argumentiert phänomenologisch, da er diesen Zustand, aber auch richtig erfaßte Mißstände als Wesensbestandteil der "Sozialen Marktwirtschaft" identifiziert. Er versteigt sich sodann zwar folgerichtig, aber gleichwohl falsch zu der Feststellung, die Franzosen verfügten ebenfalls über die "Soziale Marktwirtschaft", um aber an anderer Stelle wiederum vom "deutschen Sonderweg" zu reden. Münchau arbeitet sich an einer Schimäre ab, und sein Revolutionsbajonett stößt dabei ins Leere.

Der deutsche Mittelstand mit seiner im internationalen Vergleich niedrigen Eigenkapitalquote ist vornehmlich kreditfinanziert und nimmt damit, wie Münchau richtig feststellt, in der Tat eine Sonderstellung ein. Ob nun aber ein Unternehmen vorwiegend kredit- oder aber eigenkapitalfinanziert ist, berechtigt einen Kritiker jedoch nicht, das eine als "schlecht", das andere als "gut" zu werten, denn die Finanzierungsform entscheidet lediglich über die Verteilung von Erträgen und Risiken. Münchau setzt aber "Fremdfinanzierung" mit "Ineffizienz" sowohl der kreditierten Unternehmen als auch des Bankenmarktes gleich und plädiert ganz im Zeitgeist für die Diktatur freier Finanzmärkte. Bei eingehender Betrachtung dieses Plädoyers verbirgt sich dahinter allerdings eine bestimmte Interessenlage. Insoweit verfällt Münchau selbst - angesichts seiner blauäugigen Sympathie für "freie Märkte" wahrscheinlich unbeabsichtigt - einem Fehler, den er dem Mittelstand vorwirft: der "Kumpanei" mit Interessengruppen. Es ist an der Zeit, daß konservative Intellektuelle endlich gegen solch vulgäre, universalistische "Theorien" ins Feld ziehen.

Das Buch ist flott geschrieben. Wer Streitpunkte sucht, wird sie finden. Wer eines neuen Untergangsszenarios bedarf oder mit Klischees über Volksbanken und Sparkassen bedient werden will, kommt auf seine Kosten. Wer eine anspruchsvolle Abhandlung über Problemlage und Zukunft unserer mittelständisch geprägten Wirtschaft erwartet, wird hingegen enttäuscht.

 

Wolfgang Münchau: Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft.

Carl Hanser Verlag, München 2006, gebunden, 250 Seiten, 19,90 Euro


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