© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/06 21. April 2006

Meldungen

Vermittler der Gedächtniskulturen

BIELEFELD. Gegen den Strich wird die deutsche "Erinnerungskultur" in letzter Zeit immer wieder vom Leipziger Historiker Stefan Troebst gebürstet. Seine "Relativierungen" ergeben sich aus der Gegensätzlichkeit innereuropäischer "Gedenkpolitik", dem Kontrast von "Holocaust" und "Gulag" (JF 11/06). "Europas aktuelle Erinnerungskonflikte" greift auch sein Beitrag zum "Entstalinisierungsjahr" 1956 auf (Deutschland-Archiv, 1/06). Der mit Chrut-schows "Geheimrede" über "Stalins Despotismus" von Moskau selbst eröffnete Kampf um die Erinnerung habe das "sowjetkommunistische Deutungsmonopol der Geschichte" langfristig entlegitimiert und sei der "Anfang des Gulag-Gedächtnisses" gewesen. Dieser "Erinnerungsbruch von 1956", der in Ungarn sogar die "Wegmarke 1989" überschatte, habe spätestens 2004, als acht Staaten Ostmitteleuropas der EU beitraten, den im Januar 2000 in Stockholm installierten westeuropäischen "Gründungsmythos Holocaust" in Frage gestellt. In der "Kalniete-Korn-Kontroverse" (JF 15/04) sei dies offen zutage getreten. Trotzdem gebe es Anzeichen des Ausgleichs. Norman M. Naimark und Jorge Semprún hätten 2005 ungestraft sagen dürfen, daß für Nationalsozialismus und Stalinismus die "Völkermordabsicht" gleichermaßen "systemimmanent" war. Hier liege vielleicht der Beginn einer gesamteuropäischen Erinnerungskultur, wobei den Deutschen mit ihrer Erfahrung beider Diktaturen eine "Mittlerrolle" zwischen den konträren Gedächtniskulturen zukomme.

 

Rückblick auf die Blockade Leningrads

BERLIN. Die legendären "900 Tage" der Belagerung von Leningrad und die Kämpfe im Norden der Ostfront zwischen 1941 und 1944 fanden ihre Geschichtsschreiber schon, als diese Geschichte noch "gemacht" wurde. Die deutsche Historiographie, so Gerhart Hass, einst führender Geschichtspropagandist des SED-Staates (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 2/06), begann bereits 1942 mit Dokumentationen, internen Studien und nur "im Manuskript" gedruckten Darstellungen, von denen die meisten neben den Kriegstagebüchern der Armeen und Divisionen im Freiburger Militärarchiv erhalten geblieben sind. 1946 lag dann ein erstes Standardwerk über die Kämpfe vor, von gefangenen Wehrmachtsgeneralen zum "Hausgebrauch" im Kalten Krieg für die Westalliierten erstellt. Für die Grundtendenzen der militärhistorischen Nachkriegsliteratur der Bundesrepublik sei diese Großstudie "jahrzehntelang richtungsweisend" gewesen. Wichtigste Aussage: Hitlers sei schuld, daß Leningrad nicht frühzeitig erobert wurde. Das Märchen vom "alleinschuldigen Hitler", dem alle Niederlagen zugeschrieben, und den Generalen, denen alle Erfolge zu verdanken seien, finde sich noch in der Militärliteratur unserer Tage. Ebenso die Ausblendung der "rassistischen Kriegsziele" und die Beschränkung auf das "rein Militärische". Ebenso verkürzend, räumt Hass ein, seien DDR-Historiker verfahren, weil sie "eng der Ideologie des sowjetischen Blocks" verhaftet blieben. Sie konnten vor 1989 auch nicht schreiben, daß die "Hungerblockade" vom Kriegsrecht gedeckt war. Selbst die Nürnberger US-Richter hätten eingeräumt, daß das Aushungern einer belagerten Stadt "jahrhundertealter Brauch" gewesen sei.

 

Erste Sätze

Der Kampf um die Sicherung unseres deutschen Volkes gegen äußere Bedrohung und innere Schwächung hat die Frage nach seinem Wesen und Wert in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt.

Erich Keyser: Bevölkerungsgeschichte Deutschlands. Dritte, umgearbeitete und vermehrte Auflage, Leipzig 1943


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