© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Eine Stadt sucht ihr Mantra
Halberstadt: Impressionen aus einer Stadt, die um jeden Preis "bunt" sein will / Aktionstag und Demonstration
Christian Dorn

Als Anfang März die Nachrichtenagentur dpa die Meldung verbreitete, Halberstadt hätte auf Druck der NPD ein Konzert von Konstantin Wecker in einem Gymnasium abgesagt, äußerten Medien und Politiker in ganz Deutschland ihre helle Empörung. Daß es allerdings nie eine Zusage für Weckers Auftritt gegeben hatte, interessierte indes kaum jemand (JF 12/06). Ausgerechnet Halberstadt hatte nun plötzlich das Stigma, eine Nazi-Stadt zu sein.

Gegen das schlechte Image meinte die Stadt nun ein Zeichen setzen zu müssen. Als kurz nach dem Presserummel die Jungen Nationalen Wernige-rode und die Sozialrevolutionären Nationalisten Halberstadt eine Demonstration für denvergangenen Sonnabend angekündigt hatten, formierte sich sogleich ein "Bürgerbündnis" für ein gewaltfreies Halberstadt. Neben diesem hatten auch der DGB und die Jugendantifa Nordharz zu Gegendemonstrationen aufgerufen und ein Volksfest ausgerichtet, für das das Stadtzentrum "okkupiert" wurde. Die Geschäfte des dort befindlichen Einkaufscenters schlossen bereits um 12 Uhr, offiziell deshalb, weil man an der im Anschluß an ein Friedensgebet geplanten Demonstration teilnehmen wollte, die unter der Losung "Gesicht zeigen - Zivilcourage gegen Neo-Nazis und Rechtsextremisten" stand.

In Gesprächen erfuhr man jedoch, daß wohl vor allem die Angst vor Randale zwischen Antifa und rechten Hooligans eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte. Über der Hauptbühne - an der Fassade des Rathauses aufgefädelt - baumelten die bunten Luftballons mit der tautologischen Aufschrift: "Halberstadt ist bunt", und statt eines Parteiabzeichens trug fast jeder Bürger eine Anstecknadel mit ebendiesem Motto. Bei nahezu jedem Auftritt wurde die Losung wie ein Mantra wiederholt. Im Gegensatz dazu sprachen die Zeitungen und Politiker wiederholt von dem "braunen Dreck" und "Müll", den man in dieser Stadt nicht haben wolle. Gemeint waren damit die circa 250 Teilnehmer der sogenannten Nazi-Demo.

Angeführt wurde diese von Thomas Wulf, der - aus den Freien Kameradschaften kommend - kürzlich in den Parteivorstand der NPD gewählt worden ist und mittlerweile als persönlicher Referent des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt fungiert. In braunem Ledermantel und mit Schiebermütze glich dieser einem Abziehbild von Ernst Thälmann aus den dreißiger Jahren. Letzteres fand sich im Stadtzentrum wieder an einem Campingtisch der KPD, hinter der ein junger Genosse aus Aschersleben Auskunft gab.

Volksparteien Seite an Seite mit der KPD

Bizarr wirkte das gleich aus drei Gründen: einmal, weil der junge Genosse wenig später mit einer offiziellen Ordner-Binde zu sehen war, sodann, weil die KPD ihren Platz neben all den anderen "Volksparteien" hatte, während die NPD, die immerhin einen Stadtrat stellt, mit ihrem Antrag auf eine Standbeteiligung gescheitert war. Besonders auffällig war am Stand das Konterfei Lenins mit dessen Geburtsdatum 22. April - das vor dem Hintergrund, daß die Regionalzeitung Volksstimme anläßlich der geplanten "Nazi-Demo" deren Termin skandalisiert hatte: "ausgerechnet" zwei Tage nach Hitlers Geburtstag, so hieß es. Nun, die KPD hatte sich immerhin - mit behördlicher Genehmigung - termingerecht eingefunden.

Der NPD also war nur die Straße geblieben, diese aber immerhin ohne Gegenwehr. Als der Demonstrationszug - der dramatische Höhepunkt des Tages - in einer "Rechtskurve" in die Kühlinger Straße einbog, die direkt an der Rückseite des Stadt- und Einkaufszentrums verläuft, kam es denn auch zu keinen Zwischenfällen. Die Polizei hatte den gesamten Bereich großflächig abgeschirmt.

Trotzdem standen am Straßenrand der Demoroute einige Passanten und Anwohner, unter ihnen vor allem Jugendliche, die ein seltsames Bild boten: Auf den höchsten natürlichen Punkten, Bordsteinen und Vorsprüngen, hatten sie sich in einer losen Reihe aufgestellt und hielten mit ihrem rechten Arm neugierig ihr Mobiltelefon mit der Kamera vor sich in die Luft. Diese Szenerie vor den Wohnblöcken erinnerte sehr an das Verhalten von Erdmännchen, die aus dem Bau kommen, wenn sie Gefahr wittern - aufgereckt in die Ferne schauend, abschätzend, ob "das" vorübergeht. Anders das Bild einige hundert Meter weiter: Dort drängte sich im bei solchen Anlässen üblichen Ritual die Antifa-Demonstranten vor den Absperrgittern und Polizeiketten und schrien sich die Seele aus dem Leib gegen die vorbeilaufende "Nazi-Horde". Dieser vergebliche Vorgang erinnerte unwillkürlich an wild anschlagende Wachhunde, die an einem Absperrgitter entlanglaufen, immer auf Höhe des erkannten Eindringlings. Womit sie ja nicht ganz unrecht haben, denn "in die Mitte der Gesellschaft" will schließlich auch die NPD, wie deren Kreisvorsitzender Halberstadt-Wernigerode, Matthias Heyder ankündigte.

Kurios ist eine Äußerung der Stadtverwaltung in einer nachträglich angesetzten Pressekonferenz. Dort beklagten die Stadtväter, daß die Fotoreporter der Nachrichtenagentur dpa - mit Ausnahme eines Fotos - nur Bilder von der Demonstration der Rechten gemacht haben, daß also genau jenes Bild reproduziert worden sei, dem Halberstadt mit diesem Aktionstag hatte entgegentreten wollen.


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