© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Optimismus nach dem "Annus horribilis"
Enteignungen II: Debatte über das weitere juristische Vorgehen / Verjährung der Ansprüche / Jubiläumskongreß der Arbeitsgemeinschaft Recht und Eigentum
Marcus Schmidt

Das vergangene Jahr war für die Kämpfer gegen das Enteignungsunrecht auf dem Gebiet der ehemaligen DDR das, was die englische Königin als "Annus horribilis", als schreckliches Jahr bezeichnen würde. Gleich zweimal scheiterten Kläger mit dem Versuch, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ihr Recht durchzusetzen. Zwei Niederlagen, die geeignet sind, nach 16 Jahren zähem Kampf um Rückgabe und Entschädigung die Opfer zu demoralisieren.

Dennoch war die Stimmung auf dem Jubiläumskongreß zum zehnjährigen Bestehen der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE), des Zusammenschlusses von Opfern und Geschädigten der Enteignungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, alles andere als depressiv. Grund hierfür war nicht zuletzt, daß gleich zu Beginn der Tagung am vergangenen Wochenende der Münchner Rechtsanwalt Johannes Wasmuth vorsichtig Optimismus verbreitete: Juristisch gebe es trotz aller Rückschläge des vergangenen Jahres keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Wasmuth stellte die Fälle der sogenannten Industriereform in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Diese Fälle seien bislang wenig erforscht und wiesen gegenüber den Fällen der Bodenreform einige Besonderheiten auf. Derzeit werde hierzu vor dem Landgericht Dresden eine erste Musterklage vorbereitet. Innerhalb eines Jahres sei mit einer Entscheidung des Gerichtes zu rechnen.

Bei einem positiven Ausgang des Verfahrens erwartet Wasmuth aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes auch positive Impulse für Bodenreform-Fälle. Optimistisch stimmt Wasmuth zudem, daß sich die Zusammensetzung des für die Verfahren zuständigen 3. Senates des Bundesverwaltungsgerichtes geändert hat, nachdem der umstrittene Richter Hans-Joachim Driehaus in Pension gegangen ist.

Negative Auswirkungen auf den Durchhaltewillen

"Ich habe ihm herzlich zu seiner Pensionierung gratuliert", sagte Wasmuth, der Driehaus elementare Verstöße gegen die Rechtsauslegung vorwarf. Der Rechtsanwalt warnte dennoch vor übereilten Klagen. Zunächst müsse der Ausgang des sorgfältig vorbereiteten Musterverfahrens abgewartet werden. Es habe keinen Sinn, vor Gericht "einfach so" einen neuen Anlauf zu wagen. Entschieden sprach sich Wasmuth dagegen aus, erneut vor internationale Gerichte zu ziehen. "Ich habe sehr davor gewarnt, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen", erinnerte er. Es sei wichtiger, sich auf die Verfahren vor nationalen Gerichten zu konzentrieren.

Die "absehbaren Niederlagen" in Straßburg hätten sich nicht zuletzt auch negativ auf den Durchhaltewillen der Geschädigten ausgewirkt. Schließlich könnten die Gegner einer Rückgabe oder Entschädigung nun darauf verweisen, daß sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Enteignungen nicht beanstandet habe. "Das ist der Stimmung abträglich und moralisch destabilisierend", sagte Wasmuth, der darauf hinwies, daß am 31. Dezember 2007 die Ansprüche verjähren.

Nicht alle Teilnehmer des Kongresses teilten die skeptische Einschätzung Wasmuths gegenüber neuen Verfahren vor internationalen Gerichten. Der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps etwa sprach sich ausdrücklich für diese Möglichkeit aus, "soweit es sachlich sinnvoll" sei. Auch er warnte aber davor, übereilt und nur "aus Prinzip" erneut den Weg nach Straßburg zu gehen. Mit seiner Bemerkung, in Straßburg seien die Opfer der Bodenreform etwas besser aufgehoben als in Karlsruhe, ließ er Skepsis gegenüber deutschen Gerichten in dieser Frage erkennen. Wenn es neue Erkenntnisse gebe, könne ein erneuter Anlauf vor dem Europäischen Gerichtshof durchaus gewagt werden.

Das gesellschaftliche Klima scheint sich zu wandeln

Purps blieb den Verweis auf solch neue Erkenntnisse nicht schuldig und erwähnte ein jetzt aufgetauchtes Papier aus dem April 1990, in dem die Parteien der ersten frei gewählten DDR-Regierung vereinbart hätte, sich in Verhandlungen mit der Bundesrepublik um die Sicherung der aus der Bodenreform hervorgegangenen Eigentumsverhältnisse zu bemühen. Dieses könnte einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens in Straßburg sinnvoll erscheinen lassen, auch wenn die Erfolgsaussichten weiterhin "dünn" seien.

Aber nicht nur juristische Fragen bestimmten die Veranstaltung im hessischen Borken. Schon bei der Eröffnung des Kongresses hatte der ARE-Vorsitzende Manfred Graf von Schwerin darauf hingewiesen, daß es seiner Ansicht nach Anzeichen für einen gesellschaftlichen Klimawandel in der Bewertung von DDR-Unrecht gebe. Als Beispiele nannte er die öffentliche Diskussion nach dem aggressiven Auftreten von ehemaligen Stasi-Offizieren bei einer Diskussion in Berlin (JF 13/06) und den Film "Das Leben der anderen", der die Machenschaften der Staatssicherheit nicht wie sonst üblich humoristisch, sondern ernsthaft aufarbeite.

Auch Wasmuth plädierte dafür, nicht nur den juristischen Weg zu beschreiten. Wichtig sei es, ein gesellschaftliches Szenario zu entwerfen, das zeige, wie desaströs sich heute noch die Folgen der Enteignungen und Entrechtungen in der ehemaligen DDR auswirken. Das gesellschaftliche Klima, der vorjuristische Raum, lasse Richter nicht unbeeinflußt, sagte Wasmuth: "Ich wundere mich daher , daß es noch keinen Roman zu dem Thema gibt."

Am Ende stand die Äußerung einer Teilnehmerin stellvertretend für die vorherrschende Stimmung auf dem Kongreß: "Egal, was man tut, man muß etwas tun."


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