© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/06 28. April 2006

Hunger satt
Globalisierungskritik mit Schlagobers: "We Feed The World - Essen global"
Martin Lichtmesz

Österreich hat in den letzten Jahren zwei exzellente kapitalismuskritische Dokumentarfilme hervorgebracht: "Darwin's Nightmare" von Hubert Sauper und "Working Man's Death" von Michael Glawogger. Nicht ganz so superb, aber politisch zugespitzter und unbedingt sehenswert ist die ebenfalls österreichische Produktion "We Feed The World - Essen Global" von Erwin Wagenhofer, die nun auch in deutschen Kinos angelaufen ist.

Der Film zeigt die ans Perverse grenzenden Umstände der globalen Nahrungsmittelproduktion. Seine beinah surrealen Bilder wird man so schnell nicht vergessen: Ganze Lastwagenladungen von Brot, die in Wien zu Bergen aufgetürmt werden, um anschließend der Vernichtung anheimzufallen; andalusische Gewächshausanlagen, die sich als ein wahres Meer aus Plastik über Aberkilometer erstrecken, um Europa das ganze Jahr über mit Billiggemüse zu versorgen; gewaltige Flächen gerodeten Regenwaldgebiets in Brasilien, auf denen Soja zum Export in westliche Industrieländer angebaut wird, während ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung verhungert; Tausende von Küken, die nach dem Schlüpfen in tresorartigen Brutschränken maschinell auf ein Förderband gekippt, und eines Tages auf einem anderen Förderband ebenso maschinell der Tötung und Verarbeitung zugeführt werden.

Letztere Sequenzen werden einem wohl für immer das Lachen über jene fanatischen Tierschützer vergehen lassen, die die Fleischfabriken mit KZs vergleichen. In solchen Bildern erschöpft sich der Frevel "an maass und grenze", wie einst Stefan George dichtete, jedoch noch lange nicht. Mit Interviews und eingeblendeten Texten versucht "We Feed The World" zu skizzieren, wie sich die globale Wirtschaftsvernetzung zur unentrinnbaren Falle schließt. Dabei kommen die unvorstellbare Verschwendung auf der einen und die ebenso unvorstellbare Armut auf der anderen Seite der Erdhemisphäre, die massive Umweltzerstörung und die mit der Billigproduktion abnehmende Qualität der Lebensmittel ebenso zur Sprache wie die Absurdität der Transportströme und die exzessive Verwendung von Gentechnik.

Es entsteht ein schauerliches Bild einer allumfassenden Entartung der elementaren Lebensgrundlagen. Gemüse und Fleisch im Supermarkt sind kaum mehr, was sie zu sein scheinen. Für den Produzenten zählt die massenhafte Absetzbarkeit, nicht die Qualität des Nahrungsmittels: es soll nicht schmecken, es soll sich verkaufen. Auch das Ausbooten der Landwirte von Österreich bis Senegal wird thematisiert: "Wenn Sie im Senegal auf den Markt gehen, können Sie europäische Früchte zu einem Drittel der einheimischen Preise kaufen. Also hat der senegalesische Bauer keine Chance mehr, das Auskommen zu finden." So Jean Ziegler, der bekannte altlinke UN-Experte für das Recht auf Nahrung, der als eine Art "guter Geist" durch den Film führt. Als sein Gegenbild fungiert der am Ende auftauchende Geschäftsführer von Nestlé, ein Mann mit einem Charme, als wäre er der Antichrist persönlich. Zieglers zuweilen allzu populärmarxistische Ausführungen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Weltethosgetränkte Parolen wie "Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet" erfreuen das sich von humanitären Gemeinplätzen nährende Herz, das offenbar auch bei Wagenhofer links schlägt.

Inzwischen hat der Regisseur ein gemeinsam mit Max Annas geschriebenes Buch vorgelegt: "We Feed The World! Was uns das Essen wirklich kostet" breitet auf 192 Seiten Zahlen, Fakten und Zusammenhänge aus, für die im Film kein Platz mehr war. Ihre Hauptthese formulieren Annas/Wagenhofer so: "Es ist unser Essen, das andere in den Hunger treibt. Es geschieht wegen unserem Fleisch und unserem Gemüse, unserem Obst und unserem Getreide. Und wegen der Gewinne der Konzerne, die alle in Europa und Nordamerika beheimatet sind."

Dabei werden Details erwähnt, die wie Vorzeichen von Jean Raspails Visionen wirken: "Aus dem Mittelmeer werden Tag für Tag tote Afrikaner gefischt, die schwimmend versuchen, dem zunehmenden Elend zu entkommen." Angesichts dieser Entwicklungen sah Raspail "nur eine Alternative (...): den schicksalergebenen Mut aufzubringen, arm zu sein, oder den entschlossenen Mut wiederzufinden, reich zu sein."

Bei Wagenhofer/Annas hört sich das so an: "Es ist dieses kollektive Wir, das in der Verantwortung steht, zu verändern, was falsch ist." Hier ist allerdings der Abhang der hypermoralischen Kurzschlüsse in Sicht, auf dem die Linke so gern ausrutscht. Raspail fügte die Warnung hinzu: "In beiden Fällen wird sich die sogenannte christliche Nächstenliebe als ohnmächtig erweisen. Die kommenden Zeiten werden grausam sein."

Immerhin ist auf der Internetseite zu "We Feed The World" der Satz zu lesen: "Allerdings würden von einer ernst gemeinten Anti-Hunger-Politik die Volkswirtschaften profitieren, nicht die global und national einflußreichen Konzerne." Beginnen nun auch die linken Globalisierungsgegner den Boden zu ahnen, auf den sie sich stellen müssen, um endlich Zähne zu bekommen?

Für den Pro-duzenten zählt die massen-hafte Absetzbarkeit, nicht die Qualität des Nahrungsmittels: es soll nicht schmecken, es soll sich verkaufen.

Foto: Massentierhaltung in Österreich: Jedes Huhn bringt einen Erlös von 10 Cent


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