© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/06 05. Mai 2006

Halali der Familiären
Die Kinderfrage ist eine nach Sein oder Nichtsein
Ellen Kositza

Sicher, nach wie vor werden Eltern in punkto Verantwortung, Zeitaufwand und Finanzen schwerer belastet als Kinderlose. Davon, daß sie jeglicher Lobby entbehren, kann jedoch keine Rede mehr sein. Im Gegenteil, Kinder und Familienpolitik sind zu einem harten Faktor geworden.

Keine Woche vergeht ohne neue Kinderwunschstatistiken, geldwerte Berechnungen von Erziehungsleistung, moralische Gebärappelle, oder Werte- und Bildungsdebatten. Die heiß diskutierten Bücher zur Kinder- und Familienfrage aus der Feder von Meinungsmachern wie Frank Schirrmacher und Susanne Gaschke - erschienen im Rahmen eines regelrechten Booms dieser Sparte - befördern die Debatte nur, die eigentliche Dynamik des Themas liegt in der Sachlage selbst begründet. Nie zuvor war die Geburtenrate niedriger, die Zahl der Scheidungsfälle und Singlehaushalte höher als heute, mit allen wirtschaftlichen und ethischen Verwerfungen, die da hereinspielen. Wenn man eine Konjunktur von Familie herbeireden könnte, sie wäre längst meßbar.

Ressentiments gegen Familiengründer lassen sich freilich auch durch Wahlprogramme, ökumenische "Wochen für das Leben" und Feuilleton-Debatten nicht ausrotten. So leicht lassen sich überzeugte Berufssingles nicht mundtot machen.

Als paradigmatische Monatskontroverse mag hier das Wortgefecht zwischen Tagesschau-Sprecherin Eva Herman und Reinhard Mohr gelten. Herman, Karrierefrau des Jahrgangs 1958 (und, dies nebenbei, in vierter Ehe verheiratet und späte Mutter eines Sohnes), hat in der Mai-Ausgabe des Cicero jene allseits beliebten Rechtfertigungen der grassierenden Kinderlosigkeit wie Geldmangel, haushaltsferne Männer oder Betreuungsmisere beiseite gefegt und mit völlig unzeitgemäßer, beinahe naiver Verve den Wesenskern der "emanzipierten Frau von heute" als Urgrund des Familiennotstands ausgemacht.

Der Feminismus, so Herman, habe die Frauen aufgerieben und für die Mutterrolle unbrauchbar gemacht. "Eitel und selbstgefällig" sieht sie ihre emanzipierten Geschlechtsgenossinen agieren, anstatt in "Wahrnehmung ihres Schöpfungsauftrags die Familie zusammenzuhalten". Die Frau von heute versklave sich auf dem Arbeitsmarkt und verstoße im Zuge zunehmender "Entweiblichung" gegen "jene Gesetze, die das Überleben unserer menschlichen Spezies einst gesichert haben."

Urteile wie diese hat es immer gegeben, etwa das Lebenswerk einer Christa Mewes hat die Schattenseiten dieser weiblichen Kindvergessenheit in all ihren Facetten ausgeleuchtet. Die Angesprochenen selbst pflegten dies als reaktionären roll-back zu diskreditieren, und damit war über Jahrzehnte das Gültige gesagt. Da Eva Herman aber zur TV-Prominenz zählt und Cicero ein durchaus konsensfähiges Magazin ist, dröhnen die Sirenen nun schrill.

Den Lautsprecher dazu gibt, höchst erregt, Spiegel-Redakteur Reinhard Mohr. Mohr, fünfzigjährig und kinderlos, hatte vor Jahren sein Lebensgefühl als passionierter Partygänger dargelegt. Von der Zumutung des Älterwerdens "zwischen Prostata-Vorsorge und Renten- sowie Hormonloch" war da die Rede, vom Single als Sieger und kultureller Speerspitze. Klar, daß einem wie Mohr bei der Lektüre des Herman-Artikels der Kragen platzt.

Darum schaltet der Journalist in seiner Antwort auf Dauerfeuer: Keineswegs Heilung verspreche jene neue "Gesellschaftsutopie" der intakten Familie, sondern vielmehr ein Zurück zu "autoritärer Enge und provinzieller Spießigkeit". Eine "Terrorgemeinschaft", die "kleine Hölle in den eigenen vier Wänden" nennt Mohr die Familie, die "seit jeher erstrangiger Quell für schwerste psychische und sexuelle Deformationen" gewesen sei. An Belegen jenseits von Freud fährt Mohr den Nationalsozialismus auf, dem die Familie verläßlichste Stütze gewesen sei, und aktuell die patriarchalische Struktur der Moslemfamilien: Nirgends werde so deutlich wie hier, daß der Rückgriff auf Familienwerte undemokratisch und totalitär sei.

In diversen Leserforen hat sich nun im Nachklang der Herman-Mohr-Kontroverse eine gesellschaftliche Kluft aufgetan, die in Zukunft nicht kleiner werden wird: die zwischen Singles und Familienmenschen. Der Halali-Ruf der Familiären trifft auf das Rückzugsgeheul der Alleinstehenden. Der Ton ist bisweilen hart: Von Fortpflanzung als "hormonellem Egoismus" ist da die Rede und von "selbstsüchtigen Menschen, die die Welt mit ihren Kindern dichtscheißen".

Die Frage nach Kindern ist offenkundig eine nach Sein oder Nichtsein. Zusätzlich bedarf sie einer Erörterung über Reproduktionsquoten hinaus. Genau dies glückt den politisch Verantwortlichen weniger, als es der Aufsatz einer Nachrichtensprecherin vermag. Indes dürfte es für keine der beiden Seiten notwendig und ergiebig sein, sich in der Kinderfrage theoretisch aufzureiben. Die Zeit wird erweisen, wer die besseren Karten hat. Während die einen sich also getrost ums Eingemachte kümmern dürfen - was nötig erscheint, wenn die Zahlen des jüngsten Familienberichts stimmen, wonach sich deutsche Eltern nur gut zwei Stunden täglich familiär engagieren -, mögen die anderen, die Kinderfreien, ihrem enkellosen Lebensabend entgegensehen. Den wird nämlich aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr Vater Staat richten, sondern die je eigenen Töchter und Söhne.


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